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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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marschieren, das war für Teresa ein Urbild des Entsetzens. Damals, als sie bei der Mutter wohnte, durfte sie sich nicht im Badezimmer einschließen. Die Mutter wollte ihr damit sagen: Dein Körper ist wie alle anderen Körper; du hast kein Recht auf Scham; du hast keinen Grund, etwas zu verstecken, das in gleicher Form milliardenfach existiert. In der Welt der Mutter waren alle Körper gleich und marschierten im Gänsemarsch. Seit der Kindheit war die Nacktheit für Teresa das Zeichen der erzwungenen Uniformiertheit des Konzentrationslagers; das Zeichen der Erniedrigung.
    Es gab noch etwas Entsetzliches ganz zu Anfang des Traumes: alle Frauen mußten singen! Nicht nur ihre Körper waren gleich, in gleichem Maße entwertete, tönende Mechanismen ohne Seele, sondern die Frauen freuten sich auch noch darüber! Eine jubelnde Solidarität der Seelenlosen! Die Frauen waren glücklich, den Ballast der Seele, diesen lächerlichen Stolz, diese Illusion von Einzigartigkeit, abgeworfen zu haben und einander völlig zu gleichen. Teresa sang mit ihnen, jedoch ohne Freude. Sie sang aus Angst, die Frauen könnten sie töten, wenn sie nicht mitsänge.
    Was aber hat es zu bedeuten, daß Tomas auf sie schoß und eine nach der anderen tot ins Schwimmbecken fiel?
    Die Frauen, die sich über ihre Gleichheit und Ununterscheidbarkeit freuen, feiern im Grunde ihren bevorstehenden Tod, der ihre Gleichheit absolut setzen wird. Der Schuß ist nichts anderes als der glückliche Abschluß ihres makabren Marsches. Aus diesem Grunde brechen sie bei jedem Pistolenschuß in fröhliches Lachen aus, und während die Leichen langsam im Wasser versinken, wird ihr Singen noch lauter.  Warum ist es ausgerechnet Tomas, der schießt, und warum will er auch Teresa erschießen?
    Weil er es gewesen ist, der Teresa zu diesen Frauen geschickt hat. Das ist es, was der Traum Tomas mitteilen wollte, weil Teresa es ihm nicht selbst sagen konnte. Sie war zu ihm gekommen, um der Welt der Mutter zu entrinnen, wo alle Körper gleich waren. Sie war zu ihm gekommen, damit ihr Körper einzigartig und unersetzlich würde. Und auch er hat ein Gleichheitszeichen zwischen sie und die andern Frauen gesetzt: er küßt sie alle auf die gleiche Weise, er streichelt sie alle auf die gleiche Weise, er macht keinen, aber auch gar keinen Unterschied zwischen Teresas Körper und den anderen Körpern. Er hat sie zurückgeschickt in die Welt, aus der sie entrinnen wollte. Er hat sie nackt mit anderen nackten Frauen marschieren lassen.
    16.
    Sie träumte abwechselnd drei Serien von Träumen: die erste, in der Katzen ihr Unwesen trieben, erzählte von ihrem Leiden zu Lebzeiten. Die zweite zeigte in unzähligen Varianten Bilder ihrer Hinrichtung. Die dritte erzählte von ihrem Leben nach dem Tode, in dem ihre Erniedrigung ein ewigwährender Zustand geworden war.
    In diesen Träumen gab es nichts zu entziffern. Die Vorwürfe, die sie an Tomas richteten, waren so offensichtlich, daß er nur noch schweigen und gesenkten Hauptes Teresas Hände streicheln konnte.
    Diese Träume waren vielsagend, aber sie waren auch schön. Das ist ein Aspekt, der Freud in seiner Traumdeutung entgangen ist. Der Traum ist nicht nur eine (möglicherweise chiffrierte) Mitteilung, sondern auch eine ästhetische Aktivität, ein Spiel der Imagination, und dieses Spiel ist ein Wert an sich. Der Traum beweist, daß das Phantasieren, das Träumen des Nicht-Geschehenen, zu den tiefsten Bedürfnissen des Menschen gehört. Hierin liegt der Grund für die verräterische Gefahr, die sich im Traum verbirgt. Wäre der Traum nicht schön, könnte man ihn schnell wieder vergessen.
    Teresa aber kehrte immer wieder zu ihren Träumen zurück, wiederholte sie in Gedanken, verwandelte sie zu Legenden.  Tomas lebte unter dem hypnotischen Zauber der quälenden Schönheit von Teresas Träumen.
    »Teresa, liebe kleine Teresa, wohin gehst du mir verloren? Du träumst ja jeden Tag vom Tod, als wolltest du tatsächlich weggehen . «, sagte er einmal zu ihr, als sie sich in einer Weinstube gegenübersaßen.
    Es war am Tage, Verstand und Wille hatten wieder die Oberhand gewonnen. Ein Tropfen Rotwein floß langsam am Glas herunter, und Teresa sagte: »Tomas, ich kann nichts dafür. Ich verstehe ja alles. Ich weiß, daß du mich liebst. Ich weiß, daß diese Seitensprünge keine Tragödie sind .«
    Sie sah ihn liebevoll an, aber sie fürchtete sich vor der kommenden Nacht, sie fürchtete sich vor den eigenen Träumen. Ihr Leben war gespalten.

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