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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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Schweizer.
    Franz seinerseits bewundert Sabinas Heimat. Wenn sie ihm von sich und ihren Freunden aus Böhmen erzählt, hört Franz Wörter wie Gefängnis, Verfolgung, Panzer in den Straßen, Emigration, verbotene Literatur, verbotene Ausstellungen, und er empfindet einen eigenartigen, mit Nostalgie vermischten Neid.
    Er gesteht Sabina: »Einmal hat ein Philosoph geschrieben, daß alles, was ich sage, unbeweisbare Spekulationen sind, und er hat mich >einen fast unwahrscheinlichen Sokrates< genannt. Ich war schrecklich beleidigt und habe ihm in wütendem Ton geantwortet. Stell dir das einmal vor! Diese lachhafte Episode ist der größte Konflikt, den ich je erlebt habe! Mit ihm hat mein Leben das Maximum seiner dramatischen Möglichkeiten ausgeschöpft! Wir beide leben nach ganz unterschiedlichen Maßstäben. Du bist in mein Leben getreten wie Gulliver ins Reich der
    Zwerge.«
    Sabina protestiert. Sie sagt, daß Konflikte, Dramen und Tragödien an und für sich nichts bedeuten, keinen Wert darstellen, weder Verehrung noch Bewunderung verdienen.
    Worum jeder Franz beneiden mag, ist seine Arbeit, die er in Ruhe vollbringen kann.
    Franz schüttelt den Kopf: »In einer reichen Gesellschaft müssen die Leute nicht mehr mit den Händen arbeiten und widmen sich geistigen Tätigkeiten. Es gibt immer mehr Universitäten und immer mehr Studenten. Damit diese Studenten ihr Studium abschließen können, müssen Themen für Diplomarbeiten gefunden werden. Es gibt unendlich viele Themen, weil man über alles und nichts auf der Welt Abhandlungen schreiben kann. Berge von beschriebenen Blättern sammeln sich in den Archiven, die trauriger sind als Friedhöfe, weil man sie nicht einmal an Allerseelen betritt.
    Die Kultur geht unter in der Menge, in Buchstabenlawinen, im Wahnwitz der Masse. Darum sage ich dir immer: ein einziges verbotenes Buch in deiner Heimat bedeutet unendlich viel mehr als die Milliarden von Wörtern, die an unseren Universitäten ausgespuckt werden.«
    In diesem Sinne können wir Franz' Schwäche für alle Revolutionen verstehen. Einst hat er mit Kuba sympathisiert, dann mit China, und dann, abgestoßen von der Grausamkeit dieser Regime, hat er sich melancholisch damit versöhnt, daß ihm nur noch dieses Meer von Buchstaben bleibt, die nichts wiegen und die nicht das Leben sind. Er ist Professor in Genf geworden (wo keine Demonstrationen stattfinden) und hat in einer Art Entsagung (in einer Einsamkeit ohne Frauen und ohne
    Umzüge) mit beachtlichem Erfolg mehrere wissenschaftliche Bücher publiziert. Und dann ist eines Tages Sabina erschienen wie eine Offenbarung; sie kam aus einem Land, in dem die revolutionären Illusionen längst vergangen waren, wo aber das fortbestand, was er an Revolutionen am meisten bewunderte: das Leben, das sich auf der großartigen Ebene von Risiko, Mut und Todesgefahr abspielte. Sabina gab ihm den Glauben an die Größe des menschlichen Schicksals wieder. Sie war um so schöner, als das schmerzerfüllte Drama ihres Landes durch ihre Gestalt hindurchschimmerte.
    Doch liebt Sabina dieses Drama nicht. Die Wörter Gefängnis, Verfolgung, verbotene Bücher, Okkupation, Panzer sind für sie häßliche Wörter ohne den leisesten Hauch von Romantik. Das einzige Wort, das ihr sanft in den Ohren klingt wie eine nostalgische Erinnerung an ihre Heimat, ist das Wort Friedhof.
    FRIEDHOF
    In Böhmen gleichen die Friedhöfe Gärten. Auf den Gräbern wachsen Gras und bunte Blumen. Bescheidene Grabsteine stehen versteckt im Grün der Blätter. Wenn es dunkel wird, sind die Friedhöfe übersät mit brennenden Kerzen, man könnte meinen, die Toten gäben ein Kinderfest. Ja, ein Kinderfest, denn Tote sind unschuldig wie Kinder. Das Leben mochte noch so grausam sein, auf den Friedhöfen herrschte immer Frieden. Im Krieg, unter Hitler, unter Stalin, während aller Okkupationen. Wenn Sabina traurig war, setzte sie sich ins Auto und fuhr weit weg von Prag, um auf einem Dorffriedhof, den sie besonders liebte, spazierenzugehen. Diese Friedhöfe vor dem Hintergrund blauer Hügel waren schön wie ein Wiegenlied.
    Für Franz war der Friedhof ein häßlicher Schuttplatz für Knochen und Steine.
    6.
    »Ich würde mich nie in ein Auto setzen! Mir graut vor Unfällen! Selbst wenn man nicht umkommt, ist man für den Rest seines Lebens traumatisiert«, sagte der Bildhauer und faßte unwillkürlich nach seinem Zeigefinger, den er sich einmal fast abgehackt hätte, als er eine Holzskulptur bearbeitete. Nur durch ein Wunder

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