Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
jenen Maler, Sänger, Schriftsteller oder Politiker verliebt, einmal war es sogar ein Radrennfahrer. Selbstverständlich war das eine rhetorische Figur im Partygerede, manchmal mußte er aber doch daran denken, daß sie vor zwanzig Jahren dasselbe von ihm behauptet und mit Selbstmord gedroht hatte.
In diesem Moment betrat Sabina den Salon. MarieClaude bemerkte sie und ging auf sie zu. Seine Tochter unterhielt sich immer noch über Rossini, aber Franz hatte nur noch Ohren für das, was die beiden Frauen miteinander redeten.
Nach ein paar freundlichen Begrüßungssätzen nahm Marie- Claude den Keramikanhänger, der um Sabinas Hals hing, in die Hand und sagte sehr laut: »Was hast du denn da? Wie scheußlich!«
Dieser Satz nahm Franz gefangen. Er war nicht aggressiv dahergesagt, im Gegenteil, das dröhnende Lachen sollte augenblicklich klarstellen, daß die Ablehnung des Schmuckes nichts an Marie-Claudes Freundschaft für die Malerin änderte. Dennoch war es ein Satz, der nicht dem Ton entsprach, in dem Marie-Claude normalerweise mit anderen redete.
»Ich habe ihn selbst gemacht«, sagte Sabina.
»Er ist aber wirklich scheußlich«, wiederholte MarieClaude sehr laut, »so was solltest du nicht tragen!«
Franz wußte, daß es seine Frau nicht im geringsten kümmerte, ob ein Schmuck häßlich war oder nicht.
Häßlich war, was sie häßlich finden, und schön, was sie schön finden wollte. Der Schmuck ihrer Freundinnen war a priori schön.
Wenn sie einmal etwas häßlich fand, so verschwieg sie es, weil die Schmeichelei längst zu ihrer zweiten Natur geworden war.
Warum also hatte sie beschlossen, den Schmuck, den Sabina selbst gemacht hatte, häßlich zu finden?
Franz war es plötzlich völlig klar: Marie-Claude erklärte, Sabinas Schmuck sei scheußlich, um zu zeigen, daß sie es sich erlauben konnte.
Um noch genauer zu sein: Marie-Claude erklärte, Sabinas Schmuck sei scheußlich, weil sie zeigen wollte, daß sie es sich erlauben konnte, Sabina so etwas zu sagen.
Sabinas Ausstellung vom vorigen Jahr war kein großer Erfolg gewesen, und Marie-Claude bemühte sich nicht besonders um Sabinas Gunst. Sabina hingegen hätte allen Grund gehabt, um Marie-Claudes Gunst zu werben. Ihr Benehmen ließ aber nichts dergleichen erkennen.
Ja, es wurde Franz ganz klar: Marie-Claude hatte die Gelegenheit wahrgenommen, um Sabina (und den anderen) zu verstehen zu geben, wie das Kräfteverhältnis zwischen ihnen beiden tatsächlich aussah.
7. Kleines Verzeichnis unverstandener Wörter (Schluß)
DIE ALTE KIRCHE IN AMSTERDAM
Auf der einen Seite stehen Häuser, und in den großen Fenstern im Erdgeschoß, die wie Schaufenster aussehen, sieht man die winzigen Zimmer der Huren. Sie sitzen in Unterwäsche direkt hinter der Glasscheibe auf kleinen Polstersesseln.
Sie sehen aus wie große Katzen, die sich langweilen.
Auf der anderen Seite der Straße steht eine riesige gotische Kathedrale aus dem vierzehnten Jahrhundert.
Zwischen dem Reich der Huren und dem Reich Gottes breitet sich, gleich einem Fluß zwischen zwei Welten, ein penetranter Uringeruch aus.
Im Innern sind von der gotischen Bauweise nur noch die hohen, weißen Mauern, die Säulen, das Gewölbe und die Fenster übriggeblieben. An den Mauern hängt kein Bild, nirgends steht eine Statue. Die Kirche ist ausgeräumt wie eine Turnhalle. Nur in der Mitte sieht man Stuhlreihen, die in einem großen Viereck um ein Podium gestellt sind, auf dem ein kleiner Tisch für den Prediger steht. Hinter den Stühlen befinden sich Holzkabinen, die Logen der wohlhabenden Bürgerfamilien.
Die Stühle und Logen stehen da ohne die geringste Rücksicht auf die Anordnung der Mauern und Säulen, als wollten sie ihre Gleichgültigkeit und Verachtung für die gotische Architektur zum Ausdruck bringen. Vor Jahrhunderten verwandelte der calvinistische Glaube die Kirche in eine einfache Halle, die keine andere Funktion mehr hatte, als das Gebet der Gläubigen vor Schnee und Regen zu schützen. Franz war fasziniert: durch diesen riesigen Saal war der Große Marsch der Geschichte gezogen.
Sabina dachte daran, wie nach der kommunistischen Machtübernahme alle Schlösser Böhmens verstaatlicht und in Lehrlingswerkstätten, Altersheime und Kuhställe umgewandelt worden waren. Einen solchen Kuhstall hatte sie einmal besichtigt: Haken mit Eisenringen waren in die Stuckwände geschlagen und Kühe daran festgebunden, die verträumt durch die Fenster in den Schloßpark schauten, in dem Hühner
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