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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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weshalb Sie nicht tun sollten, was man von Ihnen verlangt. In einer vom Terror regierten Gesellschaft sind Deklarationen unverbindlich, weil sie erzwungen sind, und es ist die Pflicht eines jeden ehrlichen Menschen, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen, sie ganz einfach nicht zu hören. Ich sage Ihnen, Herr Kollege, es liegt in meinem Interesse und im Interesse Ihrer Patienten, daß Sie Ihre Arbeit fortsetzen können.«
    »Da haben Sie sicher recht«, sagte Tomas mit unglücklicher Miene.
    »Aber?« versuchte der Chefarzt seine Gedanken zu erraten.
    »Ich fürchte, ich würde mich schämen.«
    »Vor wem denn? Haben Sie eine so hohe Meinung von den Menschen um Sie herum, daß Ihnen daran gelegen ist, was sie von Ihnen denken?«
    »Nein, ich habe keine hohe Meinung von ihnen«, sagte Tomas.
    »Übrigens«, ergänzte der Chefarzt, »man hat mir versichert, daß es sich nicht um eine öffentliche Erklärung handeln würde. Es sind eben Bürokraten. Die brauchen in ihren Akten einen Beweis, daß Sie kein Regimegegner sind, damit sie sich darauf berufen können, falls man ihnen vorwerfen sollte, daß sie Ihnen diesen Posten gelassen haben. Man hat mir garantiert, Ihre Deklaration würde unter uns bleiben, und man beabsichtigte nicht, sie zu veröffentlichen.«
    »Geben Sie mir eine Woche Bedenkzeit«, schloß Tomas das Gespräch ab.
    4.
    Tomas galt als der beste Arzt des Krankenhauses. Man munkelte schon, daß der Chefarzt, der seiner Pensionierung entgegenging, ihm bald seine Stelle überlassen würde. Als bekannt wurde, daß übergeordnete Organe von Tomas eine Selbstkritik forderten, zweifelte niemand daran, daß er gehorchen würde.
    Das war das erste, was ihn überraschte: obwohl er nie den geringsten Anlaß dazu gegeben hatte, setzte man auf seine Ehrlosigkeit und nicht auf seine Ehrlichkeit.
    Die zweite Überraschung war die Reaktion seiner Kollegen auf sein zu erwartendes Verhalten. Ich könnte sie in zwei Grundtypen einteilen: Den ersten Reaktionstypus zeigten Leute, die (entweder sie selbst oder ihnen Nahestehende) etwas widerrufen hatten, die gezwungen worden waren, ihre Zustimmung zum Okkupationsregime auszusprechen, oder es zu tun bereit waren (wenn auch ungern; niemand tat es gern).
    Diese Leute begegneten ihm mit einem seltsamen Lächeln, das er bisher nicht gekannt hatte: mit dem schüchternen Lächeln heimlicher Komplizenschaft. Es ist das Lächeln zweier Männer, die sich zufällig im Bordell begegnen; sie schämen sich ein bißchen, gleichzeitig freuen sie sich, daß diese Scham gegenseitig ist; es entsteht zwischen ihnen ein Band der Bruderschaft.
    Sie lächelten ihm um so zufriedener zu, als er nie im Ruf eines Konformisten gestanden hatte. Sein vorausgesetztes Eingehen auf den Vorschlag des Chefarztes wurde zum Beweis, daß die Feigheit langsam, aber sicher zur Verhaltensnorm und demzufolge bald nicht mehr als das wahrgenommen wurde, was sie war. Diese Leute hatten nie zu seinen Freunden gezählt. Mit Schrecken wurde Tomas klar, daß sie ihn zu sich nach Hause zum Wein einladen und gut Freund mit ihm sein wollten, falls er diese Erklärung tatsächlich abgab.
    Der zweite Reaktionstypus war bei Leuten zu beobachten, die (entweder sie selbst oder ihnen Nahestehende) verfolgt wurden und sich weigerten, auf irgendwelche Kompromisse mit der Besatzungsmacht einzugehen, oder aber Leute, von denen niemand einen Kompromiß oder eine Deklaration erwartete (weil sie zum Beispiel zu jung waren und in nichts hatten verwickelt werden können) und die überzeugt waren, daß sie sich nie auf so etwas einlassen würden.
    Einer von ihnen, der sehr begabte junge Arzt S., fragte Tomas: »Also, hast du sie ihnen abgegeben?«
    »Ich bitte dich, wovon redest du?« fragte Tomas.
    »Von deiner Selbstkritik«, sagte S. Er meinte es nicht böse, er lächelte sogar. Das war nun wieder ein ganz anderes Lächeln aus dem reichen Herbarium des Lächelns: es war das Lächeln selbstzufriedener moralischer Überlegenheit.
    Tomas sagte: »Hör mal, was weißt du denn von meiner
    Selbstkritik? Hast du sie gelesen?«
    »Nein«, antwortete S.
    »Was quatschst du also?« sagte Tomas.
    S. lächelte immer noch selbstzufrieden: »Schau mal, man weiß doch, wie das läuft. Solche Erklärungen werden in Form eines Briefes an einen Direktor, einen Minister oder weiß Gott wen geschrieben, die dann versprechen, der Brief werde nicht veröffentlicht, damit der Verfasser sich nicht erniedrigt fühle. Ist es nicht so?«
    Tomas zuckte die Schultern und

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