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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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niemand von uns hätte zugegeben, dass er bei jedem Rascheln des Gebüsches erwartete, von kalter Geisterhand berührt zu werden, niemand zeigte sein Zusammenzucken, wenn der Kauz seinen unheimlichen Schrei ertönen ließ, niemand hätte gewagt, sich vorzustellen, die im Mondlicht tanzenden Schatten gehörten rachsüchtigen Heidenseelen. Nein, mein Weib, wir trafen keine Geister.«
    »Wie überaus bedauerlich.«
    »Dennoch war es schauerlich. Wir übernachteten, mutig wie wir
waren, ganz in der Nähe des berüchtigten Blutsteins, und ich fürchte, keiner von uns fand einen besonders erquickenden Schlaf in dieser Nacht, zumal einer unserer Freunde uns auch noch zur Mitternacht zu einem heidnischen Ritual verleitet hatte, bei dem alte Götter angerufen wurden und ein jeder einen Blutstropfen auf den berüchtigten Stein fallen lassen musste.«
    »Solche Dinge können gefährlich sein!«, warf der Pastor unerwartet ernst ein.
    »Da stimme ich Ihnen zu. Wenn schon nicht die alten Götter, so weckt man doch die alten Ängste mit dererlei Hokuspokus. Manch einen verfolgen sie lange danach noch.«
    »Sie auch?«
    »Ich fürchte, ich bin zu nüchternen Gemüts. Nein, als die Sonne aufging - und es war ein Sonnenaufgang an jenem Morgen, der jeden Ungläubigen bekehrt hätte -, waren meine Ängste verflogen. Mein Bruder und ich machten uns auf die Suche nach anderen Dingen als Geistern. Wenn die Heidentaufe ein geschichtsträchtiger Ort war, dann mussten sich dort auch Artefakte aus alter Zeit finden. Wir hatten mit Begeisterung damals schon Berichte vom Auffinden alter Pharaonengräber, von Ausgrabungen römischer Villen in Pompeji und Funden griechischer Skulpturen gelesen. Haselbüsche gab es genug dort oben!«, fügte er mit einem Grinsen hinzu.
    »Schatzsuche mit der Wünschelrute, ja, das musste euch Jungs reizen!«, meinte Merzenich und grinste ebenfalls vergnügt. Leonie wusste, er erinnerte sich an die unterhaltsamen Stunden an Ostern, als sie ihm förmlich den Garten umgepflügt hatte.
    »Wurden Sie fündig?«, fragte der Pastor.
    »Zu unserer eigenen überaus großen Überraschung, ja! Wir fanden tatsächlich einen alten Goldbecher aus karolingischer Zeit, wie man uns später versicherte. Er steht heute in einem Museum. Aber wir entdeckten, als wir ihn ausgruben, auch noch anderes, nämlich Fossilien. Darunter einen besonders gut erhalten Ammoniten. Und damit begann die Leidenschaft mehr für Steine als für die Relikte menschlicher Vergangenheit.«
    Leonie hatte augenblicklich das Bild jenes geschliffenen Ammonshorns vor Augen, das sie in der geheimen Kammer hinter den Schränken gefunden hatte. Möglicherweise hatte er diesen ersten
Fund aufgehoben, und er stammte gar nicht aus Ägypten. Da sie aber natürlich nicht zugeben konnte, das Fossil schon einmal gesehen zu haben, hielt sie den Mund und hörte weiter zu.
    »Dennoch, Pastor, jene nächtliche Zeremonie hatte bei unseren Begleitern zur Folge, dass sie sich in den Gedanken verstiegen, den Goldfund hätten wir der Gnade der alten Götter zu verdanken, die uns die magische Kraft des Rutengehens verliehen hatten. Wir machten den Fehler, sie auszulachen, und der Ausflug endete nicht friedlich.«
    »Es ist unklug, Abergläubische nicht ernst zu nehmen.«
    »Ganz richtig, Pastor. Man muss sie sogar bitter ernst nehmen. Die Auseinandersetzungen eskalierten nämlich bis zu einem geradezu mörderischen Ausmaß, und nur eine harmlose Ringelnatter rettete uns vor schwersten Verletzungen, denn zwei von ihnen gingen mit brennenden Ästen aus dem Lagerfeuer auf uns los. Der Rädelsführer der Magiegläubigen aber hatte eine krankhafte Angst vor Schlangen, und mein Bruder fand diese unscheinbare Natter, als er einen Stein aufhob, um sich damit zu wehren. Statt des Steins warf er seinem Angreifer die Schlange ins Gesicht. Es war, als hätte er ins Haupt der Medusa geblickt. Der Junge versteinerte förmlich vor Angst, und wir konnten ihn überwältigen. Danach vereinbarten wir einen Waffenstillstand und brachten die Blessierten ins Dorf.«
    »Eine aufregende Geschichte. Hoffentlich tritt Lennard nicht so deutlich in Ihre Fußstapfen, Hendryk!«
    Leonie schwankte zwischen Verständnis und Missbilligung.
    »Er wird es, und ihr könnt nur versuchen, ihm genügend Selbstsicherheit und aufrechten Glauben mitzugeben, damit er in solchen und ähnlichen Situationen besonnen handelt und sich nicht von der Gefahr verführen lässt!«, riet ihr Onkel.
    »Boxunterricht!«, knurrte Leonie.

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