Die Ungehorsame Historischer Roman
Aber er stellte sich stur.
»Warum sollte ich ausgerechnet Leonie etwas vermachen? Sie haben sich doch genug Vermögen zusammengegaunert.«
»Nicht genug, und Leonies Mitgift war doch etwas schäbig, finden Sie nicht auch?«
»Ausreichend für ein nichtswürdiges Weib. Mein Vermögen geht an die Kirche.«
»Das wird, lieber Schwiegervater, vor allem Ihre Schwestern und Brüder der Gebetsrunde erfreuen, zumindest, wenn sie vorher erfahren, dass Sie die Gelder, die Sie ihnen so reichlich für wohltätige Zwecke abzwacken, zu diesen sehr bedenklichen Immobiliengeschäften veruntreut haben.«
Das war ein Schuss ins Blaue.
Er traf ins Schwarze.
Aufstöhnend drückte Gutermann sich die Rechte ans Herz und rang nach Luft.
»Bevor Sie sich einem Herzanfall hingeben, schreiben Sie. Ich diktiere.«
»Den Teufel werde ich tun.«
»Sie werden, Sie schulden es Leonie. Und ihrer Tochter Rosalie. Sehen Sie, ich weiß nämlich, was für ein Schwein Sie sind!«
Gutermanns Kiefer mahlten, schließlich stieß er hervor: »Ihr Ehrenwort, dass dieses Gespräch diskret bleibt?«
»Mein Ehrenwort als Hendryk Mansel.«
Es fiel Gutermann offensichtlich schwer, die Feder zu halten, aber mit Hendryks aufmunternden Worten bekam er die drei einfachen Zeilen geschrieben, mit denen er seine Tochter Leonora Maria Mansel-Flemming, geborene Gutermann, zu seiner Universalerbin machte. Und er fragte nicht einmal, warum sie plötzlich einen Doppelnamen trug.
Der Majordomus und die Haushälterin unterschrieben als Zeugen.
Hendryk steckte das Papier ein.
»Und da ich ein Verbrecher bin, Gutermann, und kein Herr von Ehre, werde ich jetzt meinem Auftraggeber, dem Oberbergamtsrat, von meinen erstaunlichen Kenntnissen Meldung machen, um mich damit gegenüber dem verleumderischen Geschwätz zu rechtfertigen, das Sie auf Grund der Aussagen von Unteroffizier Bredow verbreitet haben. Einen schönen Tag noch, Herr Gutermann.«
Er verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Das Testament hinterlegte er mit dem Hinweis, Gutermann sei gesundheitlich zu angeschlagen, um selbst vorbeizukommen, bei dessen Notar. Der hatte selbstverständlich keine Bedenken, das Dokument aus der Hand des Schwiegersohns entgegenzunehmen.
Zwei Tage später erreichte Köln die Nachricht, Gutermann habe nach dem Besuch einiger Herren von der Eisenbahngesellschaft einen schweren Herzanfall erlitten und liege auf den Tod darnieder. Hendryk machte sich Sorgen darum, wie Leonie auf diese Nachricht reagieren würde, aber sie sah ihn gefasst an.
»Ich werde nach Bonn reisen.«
»Sind Sie ganz sicher, Leonie?«
»Ja. Haben Sie keine Angst, ich werde nicht wieder zusammenbrechen. Aber bevor mein Vater stirbt, habe ich noch eine Sache mit ihm zu bereinigen.«
»Ich bin bei Ihnen.«
»Danke, Hendryk. Sie sind sehr gut zu mir.«
Und dann tat sie etwas, das ihn beinahe in die Knie zwang. Sie legte nämlich ihre Arme um seinen Nacken und gab ihm einen scheuen Kuss. Unwillkürlich schlossen sich seine Hände um ihre Taille, und er zog sie ein wenig enger an sich.
»J’y pense«, flüsterte er und erwiderte sanft, sehr sanft ihren Kuss. Danach schob sie ihn sachte von sich und nickte.
»Ja, ich auch. Manchmal. Aber nun muss ich meine Angelegenheiten regeln.«
Wie sie das sagte, hörte es sich sehr mehrdeutig an, und er beschloss, dass die Deutung »erst meine Angelegenheiten regeln, dann …« die hoffnungsvollste für ihn war.
Das Haus der Gutermanns war beklemmend still. Rosalie hatte es mit ihrem Lachen gefüllt, Gutermann mit seinem gewichtigen Getue. Elfriede war ein unscheinbarer Schatten geworden nach der Totgeburt und dem Unfall des Mädchens. Das Personal huschte lautlos umher, denn der Tod lauerte hinter der Tür zum Schlafzimmer des Hausherren.
Aber kurz nach ihrer Ankunft traf auch Pastor Merzenich ein, um am Sterbebett seines Halbbruders zu wachen, Edith folgte und eine halbe Stunde später auch Sven.
»Wie geht es ihm?«, fragte er, und der Pastor antwortete ihm: »Die Ärzte haben keine große Hoffnung mehr. Er ist halbseitig gelähmt, sprechen kann er nicht mehr, das Atmen fällt ihm schwer. Aber er hat mir dennoch zu verstehen gegeben, er wünsche mich nicht an seinem Bett zu sehen.«
»Er will seinen eigenen Priester! Einen vom rechten Glauben«, kam es klagend von Elfriedes Seite. »Warum holt ihn keiner?«
»Weil er ohne die Sakramente sterben wird«, sagte Leonie bestimmt. Entsetzt drehte der Pastor sich zu ihr um.
»Leonie, es ist
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