Die Ungehorsame Historischer Roman
Grundstückskäufe getätigt worden. Meist kleine Parzellen nur, aber an strategisch wichtigen Stellen. Wo die lagen,
das konnte nur jemand wissen, der den beschlossenen Streckenverlauf kannte, und zwar frühzeitiger als alle anderen. Anzunehmen, er selbst habe daraus Kapital geschlagen, lag nahe. In Frage kamen natürlich auch seine beiden Mitarbeiter, und die nahm er ernsthaft ins Gebet.
Sie waren es nicht, aber sie wussten, dass Lüning immer sehr sorgfältig Abschriften gemacht und oft, wenn sie schon das Büro verlassen hatten, noch weitergearbeitet hatte. Sie hatten sich nichts dabei gedacht. Allenfalls, dass er ein ziemlicher Pedant war.
Als Nächstes vergnügte er sich zwei Tage in Bonn mit dem Durchforsten der Grundstücksakten und fand gewisse Zusammenhänge heraus, die ziemlich zielgenau auf seinen Schwiegervater wiesen. Zwei andere Namen waren dabei auch im Spiel, und da es sich, wie er sehr schnell herausfand, um Brüder im Geiste handelte, also Mitglieder der Rosenkranzler, schloss sich für ihn der Kreis.
Als Nächstes machte er sich auf die Suche nach Lüning. Mit etwas Scheinheiligkeit fand er Zugang zu einer der Damen, die er von den wenigen Familienfeiern im Hause Gutermann in Erinnerung hatte, und konnte ihr entlocken, sein ehemaliger Sekretär sei nun als reuiges Schaf wieder in die Gebetsgemeinschaft aufgenommen worden. Allerdings käme er nicht mehr so regelmäßig, wie es wünschenswert sei, zu den Gebetsstunden, und seltsamerweise sei ihr Vorbeter Gutermann in diesem besonderen Fall sehr langmütig. Sie konnte ihm auch verraten, dass er in der Universitätsdruckerei irgendeinen wichtigen Posten innehatte.
Hendryk hätte Lüning gerne aufgesucht und zur Rede gestellt, doch aus gewissen Gründen schien ihm das nicht opportun. Aber er notierte sich seine Adresse und auch die Namen verschiedener Leute, mit denen er zu tun hatte.
Seine Vorgehensweise war eine andere.
Subtiler, wenn auch mit einem gewissen Risiko des Misslingens behaftet, aber vor allem für Leonie vorteilhaft. Er hatte Menschen schon immer recht gut einschätzen können, und seine Maskerade erforderte es, diese Fähigkeit weiter zu vervollkommnen. Gutermann war ein Choleriker, ein jähzorniger Tyrann, der es liebte, sein Umfeld vor sich kuschen zu sehen. Es gab wenige Menschen, vermutlich
keinen, der sich ihm massiv entgegenstellte. Ein solches Verhalten würde ihn vor Wut explodieren lassen.
Und daraus würden sich dann die entsprechenden Folgen ergeben. Schlimmstenfalls würde er sich zu Tätlichkeiten hinreißen lassen, was jedoch Zeugen auf den Plan riefe, oder er würde sich durch unbedachte Handlungen und Aussagen selbst bloßstellen. Welche, das würde man sehen.
Ein unterwürfiges Schreiben an Gustav Gutermann verschaffte ihm widerwilligen Einlass in das Haus. Kalt empfing ihn der Patriarch in seinem Arbeitszimmer.
»Sie wünschen, Mansel?«
»Ein diskretes Gespräch, Gutermann.«
»Was kann man mit einem ehemaligen Verbrecher schon diskret besprechen?«
»Die Frage der Erbschaft. Meine Gattin ist Ihr einziges überlebendes Kind. Ich möchte sicherstellen, dass sie, sollten Sie das Zeitliche segnen, als Alleinerbin im Testament steht.«
»Unterliegen Sie einem Anfall von Irrsinn, Mann?«
»Nein, ich bin klaren Geistes. Ich würde Sie bitten, das Papier in meiner Gegenwart aufzusetzen und noch heute von zwei Zeugen unterschreiben zu lassen.«
»Raus!«
»Mitnichten. Mäßigen Sie Ihre Stimme, sonst wird dieses Gespräch nicht lange diskret bleiben.«
»Was maßen Sie sich an, Mann?«
Hendryk blieb ruhig sitzen, während Gutermann im Raum umherstapfte.
»Die Eisenbahngesellschaft interessiert sich sehr für gewisse überteuerte Grundstückskäufe. Ich habe schriftliche Beweise Ihrer Beteiligung in der Hand. Möchten Sie, dass ich die Ihrem guten Freund, dem Justizrat Lamberz übergebe?«
Wie von einer Kugel getroffen blieb Gutermann stehen und begann zu keuchen. Doch Worte kamen nicht aus seinem Mund.
»Setzen Sie sich, Gutermann, schreiben Sie Ihr Testament, das wird Ihr Gewissen beruhigen!«
»Sie haben nichts gegen mich in der Hand.«
»Doch, natürlich. Und recht hurtig, werter Schwiegervater, werde
ich auch die Aussage Ihres Vertrauten Karl Lüning besorgen, der bedauerlicherweise Abschriften vertraulicher Unterlagen aus meinem Büro verkauft hat. Diesen Handel treibt er jetzt mit Doktorarbeiten weiter.«
Gutermann musst anfangen zu dämmern, dass er die schlechteren Karten in der Hand hielt.
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