Die Ungehorsame Historischer Roman
war.«
»Na ja, wir dachten, es würde Ihnen Spaß machen, wieder daran zu arbeiten, wenn Sie sehen, was wir herausgefunden haben.«
»Damit habt ihr Recht gehabt.«
Camilla hatte inzwischen die Schlange aus dem Korb geholt und sie auf den Boden gelegt. Wenn man das obere Ende, wo später der Kopf sitzen sollte, hin und her bewegte, schlängelte sich das Gebilde, allerdings etwas mühselig.
»Ja, ganz zufrieden bin ich mit den Bewegungen noch nicht. Die Gelenke sind beweglich genug, aber man braucht zu viel Kraft, um sie in der ganzen Länge hin und her gleiten zu lassen. Ich glaube, es liegt an diesen Seidenbändern, mit denen ich die einzelnen Glieder verbunden habe.«
Camilla nahm die Schlange vorsichtig hoch und legte sie sich um die Schultern. Sie schmiegte sich um sie wie eine Stola. Sie folgte auch ihren schlangengleichen Bewegungen, und Leonie schaute ihr fasziniert zu.
»Tanzt so eine Almé?«, fragte Ursel in ahnungsloser Neugier.
»Ursel!«
Leonies Stimme klang vorwurfsvoll, aber Camilla lachte leise.
»Ja, so tanzt eine Almeh! Du hast das Buch wohl gut studiert, das ich euch gegeben habe.«
»Ja, Frau Jacobs. Es ist sehr schön. Sind Sie so eine Almeh?«
»Ich war es. Jetzt aber bin ich eine gute deutsche Frau.«
»Es ist trotzdem richtig schön. Ich versteh das mit der Gurke! Sie sind so - mh - elastisch?«
»Geschmeidig, Ursel. Elastisch sind die Federn im Uhrwerk.«
»Nein, elastisch sind auch die Seitenteile in manchen Korsetts. Leonie, das könnte die Lösung sein. Dieser neue Stoff aus dem Kautschuk, den man neuerdings verwendet, das wäre das Richtige für diese Schlange. Statt der Seidenbänder. Dann brauchte man nur eine
Seite zu spannen, die andere zieht sich dann zusammen, ganz natürlich. So zum Beispiel!«
Sie machte eine schlangenförmige Bewegung des Oberkörpers.
»Woran ich erkenne, dass du kein Korsett trägst«, konstatierte Leonie leise.
»Richtig.«
»Und wo bekommt man solche Kautschukbänder her?«
Ursel war gleich wieder pragmatisch bei der Sache.
»Sie sollten Gawrila mal fragen. Sie kennt sich mit Stoffen aus.«
»Eine gute Idee. Wenn ich mich kräftig genug fühle, besuche ich sie«, meinte Leonie und lehnte sich in den Polstern zurück. Ihre Willenskraft war zwar zurückgekehrt, aber ihr Körper noch immer schwach.
»Wir ermüden dich, Leonie!«
»Ein bisschen, aber die Kraft, mit euch Tee zu trinken, habe ich sicher noch. Ursel, sagst du bitte Jette Bescheid, sie möchte ihn im Wintergarten servieren. Und sag, wo ist eigentlich dein Bruder?«
»Bei Thomas und Johannes. Und später wollte der Herr ihn mit in den Boxklub nehmen.«
»Nun, das wird ihm mehr konvenieren als dünner Tee mit schnatternden Frauenzimmern.«
Als Ursel aus dem Zimmer gehüpft war, legte Camilla Leonie den Arm um die Taille.
»Es ist schön, dass du wieder die Alte bist. Du hast es gut getroffen hier.«
»Ja, das habe ich wohl.«
Zufrieden lauschte Leonie aber dann nur noch, wie Camilla und Ursel über den Namen ihres »Haustiers« befanden. In dem Buch über die ägyptische Kultur fanden sie einige Götter, die als Schlangen dargestellt wurden, und nachdem Apophis als zu finster und Uräus als zu majestätisch befunden wurde, einigten sie sich schließlich auf Renenutet, von der der Autor behauptete, sie sei die Beschützerin der Kinder und Lehrerin der Pharaonen.
»Dann haben wir also die Herrin der Rechtfertigung geschaffen, die im Totenreich nach Gut und Böse fragte und im Leben das Schicksal der Menschen bestimmte.«
»Gut, dann pack aber jetzt Renenutet samt ihrer Haut wieder in
den Korb zurück, Ursel. Und ich werde es ihr gleichtun und mich ein wenig niederlegen.«
»Ich werde mich auch verabschieden, Leonie. Darf ich in den nächsten Tagen wiederkommen?«
»Natürlich. Ich will sehen, dass ich schnell zu Kräften komme. Noch ist das Wetter so schön, und eine kleine Promenade sollte mir ganz guttun.«
Von diesem Nachmittag an fühlte Leonie ihre Energie sehr schnell wieder zurückkehren, und sie fragte sich, ob sie zu lange geschwiegen hatte. Die Schande hatte Camilla nicht abgeschreckt, sie hatte sie nicht verurteilt, keine Abscheu gezeigt, nur Verständnis. Edith und Sven hatten es auch nie getan, aber das war etwas anderes - Edith kannte sich mit dem Leid aus, das viele Frauen der unteren Schichten tagtäglich erfuhren, Sven war ebenfalls auf seine Art damit vertraut. Doch Damen und Herren der guten Gesellschaft, so hatte sie immer geglaubt, kannten
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