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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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zu nehmen, hatte er sich also weiter vorangeschleppt in die Richtung, die ihm sein Spürsinn riet. Eine Änderung der Bodentextur, ein Geräusch von rieselndem Sand, ein paar fragile Knochen, noch von papierartiger Haut überzogen, die Mumie einer längst verstorbenen Schlange gaben ihm die Hoffnung, einen Ausgang zu finden.
    Er zog sich auf Ellenbogen und Knien voran, der Gang war zu niedrig, um auch nur kriechen zu können. Dann und wann blieb er keuchend liegen. Mit aller Gewalt verschloss er sein Denken vor der Vorstellung, was geschehen würde, wenn der Gang blind endete.
Und noch mehr musste er seine Phantasie zähmen, wenn ihm klar wurde, welche Gesteinsmassen dort über ihm ruhten.
    Langsam, sehr langsam, aber stetig robbte er voran, oft stöhnend vor Schmerzen.
    Der Ausgang entpuppte sich als eine schmale Spalte, gerade noch breit genug, um sich hinauszuzwängen. Ein Dornbusch davor hatte es nicht eben leichter gemacht und seiner geschundenen Haut weitere Wunden zugefügt. Nur wenige Fuß weit war er gekrochen und dann zusammengebrochen.
    In die Helle des Sonnenlichts.
    Unendlich dankbar nahm er die heißen Strahlen wahr und blieb erschöpft liegen.
    Von Zeit zu Zeit regte sich sein Wille, und er sagte sich, dass er weiterkriechen, Schatten suchen müsste, aber sein Körper verweigerte ihm den Dienst.
    Irgendwann kam er zu dem Schluss, es müsse einfach ein Wunder geschehen. Zu mehr als darauf zu warten war er nicht mehr imstande.

Einsichten ins Leben
    JA, ES GIBT LAGEN, WO MAN DEN NIEDERGEBEUGTEN
MIT GEWALT HERAUSZIEHEN
UND DER VERZWEIFLUNG ENTREISSEN MUSS.
DIE KLUGHEIT ABER SOLLTE UNS IN JEDER DIESER
EINZELNEN FÄLLE LEHREN,
WELCHE MITTEL WIR ZU WÄHLEN HABEN.
    Freiherr von Knigge: Über das Betragen gegen Leute in allerlei besonderen Verhältnissen und Lagen
     
     
    Sorgfältig notierte Mansel die abgelesenen Koordinaten in der Streckenkarte und nahm dann wieder das Teleskop zur Hand, um einen Blick über die bereits fertiggestellte Trasse zu werfen. Das war eigentlich nicht nötig, aber hin und wieder erfreute er sich einfach daran, dass die Menschheit in der Lage war, eine gerade Spur durch die Landschaft zu bauen. So ähnlich mochte es den römischen Ingenieuren auch ergangen sein, wenn sie eine Wasserleitung, ein Viadukt oder eine Straße vollendet sahen. Er hatte sich ausreichend mit der antiken Baukunst befasst, um die Leistung der Römer überaus zu würdigen. Bis zu dem Zeitpunkt, da Napoleon seine Militärstraßen angelegt hatte, waren in ganz Europa keine derartig visionären Verkehrswege mehr angelegt worden. Die Eisenbahnlinien, die jetzt entstanden, waren tatsächlich vergleichbar mit den großen Würfen der Alten.
    Sein Blick glitt den Damm hoch zu einem kleinen Gehölz, und plötzlich stutzte er. Da ging etwas Seltsames vor sich.
    Verdammt, was hatte der Mann vor?
    Warum kletterte er mit dem Seil auf den Ast?
    Das sah ja aus …
    Er warf seinem Mitarbeiter das Teleskop zu und lief zu seinem Pferd. In gestrecktem Galopp erreichte er in kurzer Zeit das Gehölz, sprang aus dem Sattel und eilte mit großen Schritten zu dem Baum, um gerade noch im allerletzten Augenblick den Körper aufzufangen, der sich von einem starken Ast hatte fallen lassen.

    Ächzend unter dem Gewicht wusste er im Augenblick nicht so recht, was er tun sollte. An das Seil um den Hals des Mannes kam er nicht heran, ihn loszulassen hätte bedeutet, ihn tatsächlich hängen zu lassen.
    »Knüpfen Sie den Knoten auf, Sie Idiot!«, fuhr er den Lebensmüden an.
    »Gehen Sie fort!«, antwortete dieser heiser.
    »Bestimmt nicht. Was Sie da vorhaben, ist definitiv keine Lösung Ihrer Probleme. Es gibt immer einen anderen Weg.«
    »Das können Sie nicht wissen.«
    »Glauben Sie mir, ich kann! Knüpfen Sie den Knoten auf, und ich helfe Ihnen, die Lösung zu finden!«
    Mansels Arme begannen zu zittern. Der Mann war nicht eben leicht, und da er ihn um die Taille gefasst hielt, hatte er auch keine andere Möglichkeit, als ihn einfach stehend umklammert zu halten. Immerhin versucht der Selbstmörder nicht, sich aus seinem Griff zu befreien, sondern schwieg jetzt.
    »Was immer es ist, es ist kein Grund, in den Tod zu gehen. Ehre kann man sich wieder verdienen, materielle Güter ersetzen, Liebe wiederfinden. Glauben Sie mir, irgendwo und irgendwie ist es möglich. Und wenn gar nichts anderes geht, ist es ehrenhafter, sich der Strafe zu stellen, als in den Tod zu fliehen. Ich bin sicher, mein Freund, es gibt in Ihrem Leben Menschen, denen

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