Die Ungehorsame Historischer Roman
den englischen Ingenieuren fließend in deren Muttersprache, etwas stockender war seine Konversation mit den Französisch sprechenden Belgiern, immer wieder charmant bei den Damen in jeder Sprache. Aber auch sie sonnte sich in den unzähligen Komplimenten, die sie erhielt. Ihre Tanzkarte war schnell gefüllt, aber den letzten Tanz des Jahres hatte sie frei gehalten. Sie hoffte, ihr Ehemann würde sich dazu bereitfinden, den Walzer mit ihr zu tanzen.
Von ihren verschiedenen Partnern erhielt sie ein gutes Bild, wie Hendryk von der Gesellschaft beurteilt wurde. Man sagte ihm allenthalben einen ausgezeichneten Leumund nach, deutete an, dass er der Arbeit im Grunde nur aus Liebhaberei nachging, da er ein eigenes Vermögen besaß, und war deshalb besonders angenehm berührt, in ihm einen so verantwortungsvollen und gewissenhaften Fachmann gefunden zu haben.
Nur einmal gab es einen winzigen Missklang. Als Leonie die Damengarderobe aufsuchte, um sich frisch zu machen und ihre vom Tanzen ein wenig zerzauste Frisur zu richten, fand sie eine junge Frau vor, die sie mit einem giftigen Blick musterte und ihr, als sie um den Spiegel bat, den fast vor die Füße geworfen hätte.
»Pardon, habe ich Sie unwissentlich gekränkt, Fräulein? Dann tut es mir leid!«, sagte sie versöhnlich, doch in dem Augenblick rollten schon die Tränen. Schnupfend stieß die junge Dame hervor: »Er hat Sie geheiratet!«
»Oh. Herr Mansel, ja.«
»Hendryk!«, schluchzte die andere auf, und Leonie kam die Erinnerung an eine Bemerkung über gebrochene Herzen. »Ich hoffe, er hat in Ihnen keine ungebührlichen Erwartungen geweckt!«
»Nein, ich war die dumme Gans, die sich Hoffnungen gemacht hat. Aber Sie sind ja auch viel schöner als ich!«
»Liebes!« Leonie legte ihr die Hand auf die makellos weiße Schulter. »Sie sind genauso hübsch, wenn Sie sich die Nase ein bisschen pu- dern und die Augen mit kaltem Wasser kühlen.« Sie winkte einem der aufwartenden Mädchen zu und bat um Entsprechendes. »Ich bin sicher, einigen der jungen Herren, die sich auf Ihrer Tanzkarte eingetragen haben, bricht inzwischen das Herz, weil Sie ihnen entflohen sind.«
Als sie endlich wieder in den Ballsaal zurückkehrte, fand sie ihren herzbrechenden Gatten geradezu in Champagnerlaune vor. Er verwies einen sich vor ihr verbeugenden Tanzpartner auf seine Rechte als Ehemann und führte sie zu einem Büffet mit Erfrischungen.
»Sie amüsieren sich leidlich, Leonora?«
»Mäßig, mein Gemahl. Oh, Himmel, ich wälze mich förmlich in Schmeicheleien und werde Ihnen zukünftig eine höchst eitle und anspruchsvolle Gattin sein.«
»Obwohl Sie in den letzten Monaten von Tag zu Tag hübscher geworden sind, habe ich doch bisher keine Spur von Eitelkeit bemerkt. Trotz ja - und gelegentlich Ungehorsam. Und ehrlich gesagt, gewöhne ich mich sogar daran.«
»Sie verwöhnen mich, mein Herr!«
Sie griff in ein Schälchen und nahm eine Mandel heraus.
»Soll ich sie Ihnen aufbrechen?«
»Nein, danke. Ich habe von Lennard die Bubenfähigkeit erlernt, Nüsse aller Art zu knacken.«
»Die Kinder scheinen einen verwildernden Einfluss auf Sie auszuüben.«
»Ungeheuerlich. Er hat mir auch versprochen, mir beizubringen, wie man einen schrillen Pfiff durch zwei Finger erzeugt. Das ist sehr wirkungsvoll, wenn man eine Droschke rufen möchte!«
Ihr Mann lachte auf.
»Ich stelle mir gerade die elegante Frau Mansel vor, die einen solchen
Lausbubenpfiff von sich gibt. Der nächste Droschkenkutscher wird vom Bock fallen!«
Auch die nächste Mandel brach sie mit Geschick auf und gab dann einen kleinen Freudenschrei von sich. Zwei Kerne waren darin.
»Ein Vielliebchen, schauen Sie!«
»In der Tat.«
»Möchten Sie es mit mir teilen, mein Gemahl?«, fragte sie schelmisch. Auch sie hatte der Champagner übermütig gemacht.
»Soll ich mich Ihnen wirklich verpflichten, Leonora?«
»Haben Sie Angst vor Ihrer Vergesslichkeit oder vor meinen Forderungen?«
Der Gastgeber, der das kleine, allgemein übliche Spiel beobachtet hatte, bei dem es darum ging, dass derjenige, der mit einem anderen den angebotenen Doppelkern einer Nuss aß, dem anderen ein Geschenk schuldete, wenn er vergaß, sich an dieses Ereignis zu erinnern, trat lächelnd näher und meinte: »Ihre Gattin stellt geschickte Fangfragen, Mansel. Jetzt wird es schwierig, sich herauszuwinden!«
»Ich werde all meinen Mut zusammennehmen und diese Mandel aus der zarten Hand Leonorens entgegennehmen, mag auf mich zukommen, was
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