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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ja, sie hatte. Matthias war gut ein Jahr jünger als sie, ein hübscher Junge. Es ist so ein beklagenswerter Umstand, dass er starb. Gerade zwölf ist er geworden, 1831 hat ihn eine Blinddarmentzündung dahingerafft. Leonie hat es fast nicht überwunden; sie standen sich sehr nahe, die beiden. Sie war danach lange Zeit sehr ver- schlossen. Aber inzwischen hat sie sich ja wieder ganz erfreulich gefangen. Die Ehe mit Ihnen bekommt ihr wohl recht gut.«
    »Ja - äh -, ich hoffe es!«
    Hendryk hatte alle Mühe, nicht zu stammeln, und stürzte den Punsch mit einem Schluck hinunter.
    »Es hat auch Gutermann sehr gegrämt. Der Junge war sein ganzer Stolz. Er wünschte sich so sehr einen männlichen Erben, aber Dora hat nach Leonora nur noch zwei Fehlgeburten gehabt. Immerhin kam dann ein Jahr später doch noch Rosalie zur Welt. Aber - nun ja, Sie sehen ja selbst. Jetzt setzt Gustav seine Hoffnung auf Elfriede.«
    »Dann kann man ihr ja nur alles Gute wünschen.«
    Mühsam bewahrte Hendryk seine Fassung und wurde zum Glück von Edith erlöst, die offensichtlich seinen verstörten Blick aufgefangen hatte.
    »Nun, Herr Mansel, jetzt sind Sie im Familienkreis aufgenommen«, sagte sie und schob ihn Richtung Punschschüssel. »Nehmen Sie sich noch einen Becher, Sie sehen etwas blass um die Nase aus. Aber seien Sie vorsichtig damit, er ist nicht ohne Nebenwirkung!«
    Er tat es und fragte dann mit leiser Stimme: »Um Himmels willen, Fräulein Becker, warum hat meine Frau mir nichts von dem Schicksal ihres Bruders erzählt? Ich hätte ihr doch nie im Leben Vorwürfe gemacht, als Ursel erkrankte.«
    »Herr Mansel, gibt es nicht auch in Ihrem Leben Dinge, an die Sie lieber nicht rühren möchten?«

    Er stellte das Punschglas ab, ohne zu trinken.
    »Verzeihen Sie, ich bin fassungslos.«
    »Sie müssen in einer glücklichen Familie aufgewachsen sein. Nicht allen ist das vergönnt, mein Freund. Hinter manchen geputzten Fassaden gibt es dunkle Zimmer. Wenn sie von sich aus bereit ist, Ihnen davon zu erzählen, versuchen Sie, Verständnis für sie aufzubringen. Aber tun Sie mir den Gefallen und drängen Sie Leonie nicht, Ihnen darüber zu erzählen.«
    Er schwor sich, das ganz bestimmt nicht zu tun. Edith hatte völlig Recht, an manchen Ereignissen der Vergangenheit rührte man besser nicht, und manche Türen zu sehr dunklen Zimmern blieben besser verschlossen.

Vielliebchen
    ICH HABE BEMERKT, DASS MAN
(DIES IST BESONDERS BEI DAMEN DER FALL)
SICH BEIM TANZE OFT VON EINER NICHT
VORTEILHAFTEN SEITE ZEIGT.
WENN DAS BLUT IN WALLUNG KOMMT, SO IST DIE VERNUNFT
NICHT MEHR MEISTER DER SINNLICHKEIT.
    Freiherr von Knigge: Über das Betragen bei verschiedenen
Vorfällen im menschlichen Leben
     
     
     
    Qualmwolken ausstoßend, stand das eiserne Ungeheuer auf den Gleisen und harrte des Moments, an dem es seine gewaltige Kraft entfalten sollte, um die lange Reihe von Wagen über die Schienen Richtung Aachen zu ziehen. Leonie fühlte sich so aufgeregt wie ein Kind, während sie an dem Arm ihres Mannes den Perron entlangging, um ihr Coupé aufzusuchen. Es war das erste Mal, dass sie mit der Eisenbahn fahren sollte. Von Köln die ganze Strecke bis nach Aachen.
    Auf der Rückfahrt von Bonn, am Morgen nach der Weihnachtsfeier in ihrem Elternhaus, hatte er sie gefragt, ob sie Lust habe, einen Silvesterball in Aachen zu besuchen, zu dem der Vizedirektor der Rheinischen Eisenbahngesellschaft, David Hansemann, ihn eingeladen habe. Zuerst wollte sie ihren Ohren nicht trauen. Bisher hatte ihr Gatte es ja mit unglaublichem Geschick geschafft, sich jeder Geselligkeit zu entziehen, deswegen hatte sie nur gestottert, sie habe kein geeignetes Ballkleid.
    »Meine Liebe, wir haben noch fünf Tage Zeit, da wird sich doch etwas Passendes finden lassen!«, hatte er lächelnd entgegnet. »Vor allem, wenn Sie nicht auf den Preis achten müssen, nicht wahr?«
    Am Nachmittag noch hatte sie Gawrila aufgesucht und tatsächlich von ihr das Versprechen erhalten, ihr ein Ballkleid bis zum Dreißigsten anzufertigen. Unter der Voraussetzung, dass sie keine besonderen Wünsche äußere, hatte sie, barsch wie immer, hinzugefügt.

    »Wie könnte ich, Madame Gawrila, da Ihre Kreationen doch bisher immer voll und ganz meinen Vorstellungen entsprochen haben. Nur- machen Sie es ein wenig - mh - aufsehenerregend?«
    »Schneiden Sie endlich Ihre Haare ab. Bis zu den Schultern, falls Sie zu mehr nicht den Mut haben. Und - ja, Sie werden die Attraktion auf dem Ball sein. Das verspreche ich

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