Die Ungehorsame Historischer Roman
Ihnen«, hatte sie dann freundlicher hinzugefügt.
Zöfchen Ursel zumindest hatte das Kleid begeistert gemustert, und zwar lange und atemlos, als sie es aus dem Seidenpapier nahm, in dem Gawrila es geliefert hatte. Die Farbe war schlichtweg umwerfend. Ein Rotton, den allenfalls noch die Morgensonne zaubern konnte, wenn sie zehenspitzig auf nebligen Bergeshöhen tanzte. Seidentaft, knisternd, glänzend, am Saum eingewebt ein kompliziertes Paisleymuster, tief dekolletiert, der Ausschnitt mit einem Nebelhauch von blassorangefarbenem Organza umwogt. Ein transparenter Shawl gleicher Machart lag dabei und ein Federtuff in passendem Rot für die Haare.
Die jetzt nur noch bis auf ihre Schultern fielen.
Was das Zöfchen Ursel mit großer Genugtuung erfüllte, wie sie wusste.
Ihr Gatte hatte es nicht bemerkt.
Ernst von Benningsen hingegen sofort.
Er hatte zwei Tage nach Weihnachten bei ihnen vorgesprochen und keinerlei Erstaunen über den neuen Status der Zwillinge geäußert, die mit ihr zusammen im Wohnzimmer saßen und zu ihrem Klavierspiel Weihnachtslieder sangen. Er hatte sogar fröhlich mit einem ausgezeichneten Tenor eingestimmt. Dann hatte auch er den Kindern kleine Geschenke überreicht, eine Puppe für Ursel und eine Holzlokomotive für Lennard. Sehr manierlich hatten die beiden sich bedankt und sich dann zurückgezogen.
»Die werden vermutlich nicht mehr ausbüxen!«, grinste Ernst, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatten.
»Nein, ich hoffe nicht. Hat Mansel Sie von dem neuen Arrangement unterrichtet?«
»Er tat es. Was er mir nicht sagte, war, dass Sie Ihre Haare geopfert haben, Leonora.«
»Es ist seiner Aufmerksamkeit vermutlich entgangen.«
»Er schaut Sie zu wenig an. Dabei sind Sie eine solche Augenweide. Die Coiffure steht Ihnen ausgezeichnet.«
»Er hat ja nur ein Auge, das wird er für wichtigere Zwecke benötigen!«, hatte sie, ein wenig spöttisch, angemerkt.
»Manchmal könnte man meinen, er sei blind auf beiden. Aber nun gut, verlief Ihr Weihnachtsfest angenehm?«
Sie plauderten eine Weile, wobei Ernst sich ein wenig betrübt zeigte, dass der Dienstplan ihn in diesem Jahr gezwungen hatte, in Köln zu bleiben, statt die Feiertage bei seinen Eltern zu verbringen.
»Wo leben Ihre Eltern eigentlich? Ich habe Sie nie danach gefragt.«
»In der Nähe von Hannover, auf einem Rittergut bei Barsinghausen. Das ist ein kleines Städtchen am Deister, einem idyllischen Höhenzug, mit einem schönen alten Kloster, Kohlevorkommen und Zuckerrüben. Für deren Verbreitung tragen mein Vater und mein älterer Bruder die größte Verantwortung.«
»Damit wir unsere süßen Pralinés bekommen - ein wahrer Wohl- täter, der Herr Papa!«
»Darin, und auch in anderen Dingen. Er hat zwar recht fortschrittliche Ideen, was die Landwirtschaft betrifft, ist aber ein rechter Traditionalist, was die Behandlung seiner Pächter anbelangt.«
»Er trägt Knute und Peitsche immer bei sich?«
»Im Gegenteil, er ist einer der wenigen Grundherren, die noch der Meinung sind, er sei für jede Familie, die für ihn arbeitet, persönlich verantwortlich.«
»Das mag ihn von vielen der neuen Industriellen und Fabrikbesitzer unterscheiden.«
»Es ist die Frage, wie lange seine Leute es ihm noch danken.«
Leonie verfolgte auch die politischen Artikel in der Presse regelmäßig, vor allem, seit ein Herr Karl Marx die Redaktion in der Köl- nischen Zeitung übernommen hatte. Es bereitete ihr Vergnügen, sich mit Ernst über diese Themen zu unterhalten, denn er wich ihr nie aus mit der Begründung, das Sujet sei für eine Dame nicht geeignet. Doch sie kamen auch bald wieder auf oberflächlichere Themen zu sprechen, und sie führte ihn behufs Begutachtung einer selten blühenden Kakteenart in den Wintergarten. Die Sonne neigte sich schon am frühen Nachmittag dem Horizont zu, und in der
Dämmerung stand er neben ihr und bewunderte die duftende weiße Blüte.
»Sie haben Recht, sie ist schön, Leonie. Doch sie verblasst neben Ihnen wie das Abendlicht draußen über den Dächern. Sie hingegen leuchten, Liebste.«
Es klang ein wenig traurig, und sie sah zu ihm auf. Ja, auch er war ein gut aussehender Mann, die schmale Brandnarbe in seinem Gesicht fiel dabei nicht ins Gewicht. Gleichbleibend freundlich, aufrichtig interessiert, hilfsbereit und liebenswürdig. Er schien auch Mansel gegenüber ein aufrichtiger Freund zu sein, der einzige, von dem sie wusste. Und unter all dem litt er ganz offensichtlich.
Denn er zeigte
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