Die Ungehorsame Historischer Roman
Fall gewesen war. Da waren sie sehr fröhlich miteinander gewesen.
Einmal, und das fand Ursel ganz besonders erschreckend, einmal hatte sie die Gnädige in ihrem Boudoir über ein Kästchen gebeugt angetroffen, in dem in schwarzem Samt ein wundervoller, goldgefasster Anhänger aus einem grünen Edelstein lag. Daneben lag ein Zettel, auf dem stand »J’y pense!«. Sie wusste nicht, was das hieß, aber die Gnädige betrachtete es mit einem ganz starren, furchtbar traurigen Blick. Erst hatte sie gedacht, vielleicht habe sie Nachricht
vom Tod eines Freundes erhalten, und hatte vorsichtig gefragt, ob jemand gestorben sei.
Die Gnädige war bei der Anrede erschrocken zusammengezuckt und hatte nur den Kopf geschüttelt. Doch sie hatte weiterhin so verlassen und elend ausgesehen - ein Gefühl, das Ursel nur zu gut kann- te -, weshalb sich wie von selbst ihre Hand zu ihrer Wange geschlichen hatte, um sie tröstend zu streicheln.
Die Reaktion war grauenvoll gewesen. Plötzlich waren dicke Tränen aus ihren Augen geflossen, und sie hatte das Gesicht in den Händen verborgen, um lautlos zu weinen. Ursel hatte gar nicht gewusst, was sie tun sollte. Erwachsene weinten doch nicht! Schon gerade nicht Damen mit solch tadelloser Haltung, wie die Gnädige sie in jeder Situation zeigte. Unschlüssig hatte sie neben ihr gestanden und die Hände gerungen. Dann hatte sie das Nächstliegende getan und ein Tüchlein mit kaltem Wasser aus dem Krug getränkt, der Gnädigen den Arm um die Schultern gelegt und ihr zugeflüstert, sie möge sich die Augen kühlen.
»Danke, Urselchen. Und entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Ich möchte nicht, dass Sie traurig sind, gnädige Frau. Es ist so schön hier. Und Jette hat einen Sauerbraten für heute Abend gemacht. Und Vanillepudding. Sie können meine Portion abhaben.«
Das hatte die Gnädige tatsächlich getröstet - ein probates Mittel, dieser Vanillepudding, er half gegen Angst und Einsamkeit und Trauer.
Danach hatte sie sich ihnen gegenüber wieder ganz heiter gegeben, aber die Traurigkeit war noch immer unter dem Lächeln zu erahnen. Ursel wie auch Lennard konnten das deutlich spüren, und sie fragten sich, warum der Gnädige es nicht bemerkte.
Das letzte Hemd war gefaltet, und das Bügeleisen kühlte auf seinem Ständer ab. Es war Zeit, der Gnädigen beim Anlegen des Promenadenkleides zu helfen, denn sie wollten gemeinsam ausgehen. Ursel dachte auch daran, Jacke und Hosenboden ihres Bruders zu kontrollieren, aber heute hatte er sich vorgesehen.
Es versprach aber auch ein hochinteressanter Ausflug zu werden. Die Gnädige beabsichtigte, Meister Hanno Altenberger mit ihnen aufzusuchen, einen Uhrmacher und Feinmechaniker, der allerlei Kuriositäten anzufertigen wusste.
Es war ein Fest!
Der alte Herr war genauso freundlich wie der Onkel der Gnädigen, vielleicht ein bisschen knurriger, aber das war nur gespielt. Was für Schätze er ihnen zeigte! Feinste Goldwaagen, auf denen man fast noch ein Stäubchen wiegen konnte, Taschenuhren in allen Größen, Astrolabien, mit denen man bestimmen konnte, wo man sich befand, wie weit ein Kirchturm entfernt und wie spät es war. Sie kannten dieses Gerät, weil der Gnädige es ihnen schon mal erklärt hatte, und versetzten mit ihrem Wissen den Meister in Verblüffung. Aber der Höhepunkt waren die Spieldosen. Das war Meister Altenbergers Steckenpferd. Er hatte allerlei Kurioses zusammengebastelt. Da drehten sich zwei Tänzerinnen in weiten Röcken auf dem Deckel einer Porzellandose zu den Klängen eines Walzers, hier klappte ein Deckel auf, und eine Nachtigall entfaltete ihre Flügel und sang, dort schlug ein Schmied mit einem Hammer auf einen Amboss, und eine Schlange wand sich aus einem Korb. Die faszinierte sie beide am meisten. Aber auch, was ihnen der alte Herr alles erklärte über Zahnrädchen und Unruh, Spiralfeder und Noppenwalzen, mit denen die Spielwerke angetrieben wurden, sodass unterschiedliche Melodien ertönten.
Versüßt wurde das Ganze dann auch noch mit einem köstlichen Krümelkuchen (mit Vanillefüllung) und dicker, heißer Schokolade, die ihnen Rike servierte. Ein sehr verständiges Mädchen, das viele lustige Sprüchlein kannte und Rätselraten mit ihnen spielte, während die Gnädige und der Meister etwas aus dem Lager zusammensuchten.
Und dann schenkte er ihnen doch tatsächlich eine kleine Spieldose, die, wenn man sie aufzog, nicht nur ein Liedchen klimperte, sondern auch noch den kleinen Dackel mit dem
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