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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Versuche, ihn über diese Zeit auszuhorchen, aber er hatte sich nicht verleiten lassen, mehr als unverfängliche Allgemeinplätze dazu zu äußern.
    Also faltete er das Papier auseinander und erstarrte.
    Sven Becker hatte tatsächlich detaillierte Informationen über den Mann herausgefunden, der 1837 in Algier Dienst tat. Und was er da berichtete, war abenteuerlich. Jener Mann, vermutlich ein Engländer, war 1836 in Algerien aufgetaucht und hatte sich als Söldner verdingt. Man nahm an, er habe zuvor in einem Gefängnis in Marseille gesessen, und zwar wegen Unterschlagung. Doch die Legion war großzügig. Er bekam einen Posten als einfacher Soldat und arbeitete ein paar Monate, ohne groß aufzufallen, im Straßenbau. Immerhin gab es einige Disziplinarverfahren wegen Schlägereien, kleinen Diebstählen, einer Vergewaltigung. Dann, kurz bevor der Konflikt um Constantine sich zuspitzte, hatte er sich mit Corporal Bredow angelegt, den er auf eine bisher nicht näher bekannte Art auf das Äußerste erbost hatte. Aus diesem Grund war er auch in die vorderste Reihe der Soldaten beordert worden, die die Stadt stürmen sollten. Er hatte rücksichtslos gemordet, hatten Kameraden berichtet, aber das hatten andere auch. Er hatte sich aber auch dem Kampfgeschehen frühzeitig entzogen, das Haus eines Edelsteinhändlers geplündert und dessen Frau und Tochter geschändet. Bei einem Angriff auf dieses Haus war er von einer Kugel aus den eigenen Reihen am Kopf verletzt worden und hatte das rechte Auge verloren.
    Hendryk schnaubte. Das passte ja ausgezeichnet. Dann las er wei- ter. Man hatte den Verwundeten notdürftig versorgt und nach einem Monat aus der Legion entlassen. Danach verlor sich seine Spur, und Sven kommentierte dieses unrühmliche Curriculum Vitae: »Liebe Leonie, ich kann, nachdem ich Deinen Mann kennengelernt habe, nicht ganz glauben, dass er dieser amoralische Haudegen ist, den mir meine Freunde hier beschrieben haben.« Hendryk schnaubte noch einmal. »Das aber würde zwei Schlüsse zulassen: Entweder gibt es zwei Männer gleichen Namens und der eine hat mit dem anderen nichts zu tun - eine Erklärung, die durchaus im Rahmen des Möglichen liegt -, oder Dein Gatte hört von Geburt auf einen anderen
Namen, zieht es aber gegenwärtig vor, sich als Hendryk Mansel zu etablieren. Aus Gründen, die ihm vermutlich wichtig erscheinen und über die ich nicht einmal zu spekulieren wage. Ich hoffe nur inständig, es mögen ehrenwerte Motive sein, die ihn seine wahre Identität leugnen lassen, und dass damit nicht irgendwelche Gefahren verbunden sind, die möglicherweise auch Dich mit in einen kriminellen Strudel reißen.«
    »Gott der Gerechte!«, stöhnte Hendryk auf und ließ das Blatt sinken. Der Brief war noch im vergangenen Jahr, aber nach Weihnachten, geschrieben worden; Leonora hatte ihn vermutlich gleich nach Neujahr erhalten. Kein Wunder, dass sie seither so kühl zu ihm war. Er hatte sich gefragt, was, nachdem sie bis zu dem Ball hin ein solch freundliches Einvernehmen erreicht hatten, ihre plötzliche Zurückhaltung, ja neu aufgetauchte Sprödigkeit verursacht haben könnte. Am Morgen nach dem Ball waren sie beide ein wenig verkatert gewesen, da hatte er noch geglaubt, Unwohlsein oder Kopfschmerz habe ihre Stimmung gedrückt, aber sie hatte sich seither nur unwesentlich gebessert. Mit einem leisen Hauch von Wehmut, der ihn selbst überraschte, erinnerte er sich an ihre übermütige Einladung, das Vielliebchen mit ihm zu teilen, aber sie hatte es anschließend nie wieder erwähnt. Noch nicht einmal, als er ihr den Smaragdanhänger geschenkt hatte mit der kleinen, zum Spiel gehörigen Note »J’y pense!« - »Ich erinnere mich!«. Da sie nun vermutlich fürchtete, entweder mit einem brutalen Verbrecher oder einem Betrüger verheiratet zu sein, fand er darin eine einleuchtende Erklärung für ihr Verhalten.
    Sorgsam ordnete er den Sekretär wieder und verschloss ihn. Die Kohlerechnung war ihm nun weidlich egal. Er fragte sich, was er nur tun könnte, um ihr Vertrauen wiederzuerlangen, ohne seine Maske fallen zu lassen. Aber etwas Geeignetes fiel ihm nicht ein, zumal ihm das Schlagen der Uhr andeutete, dass er in Kürze bei Mevis- sen zu einer Beratung über die Grundstückskäufe der Eisenbahngesellschaft hinzugezogen werden sollte.
     
    Man hatte Entschlüsse gefasst und Arbeiten verteilt, dann ein gutes Mittagsmahl eingenommen, und anschließend wollte Hendryk sein Büro aufsuchen, um seinen Mitarbeitern die neuen

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