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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Aufgaben zu
übergeben und seinem Sekretär einige Briefe zu diktieren. Es war zwar kalt, aber der Frost hatte nachgelassen, schmuddeliges Tauwetter machte sich breit. Dennoch zog er es nach dem schweren Mahl vor, den zwanzigminütigen Weg zu Fuß zu gehen.
    Er hatte zwar mit Pfützen und Nieselregen gerechnet, nicht aber mit der Rücksichtslosigkeit eines Droschkenkutschers, der mit hoher Geschwindigkeit durch eine Wasserlache fuhr, gerade als er an einer sehr schmalen Stelle der Gasse sich nur eben noch an eine Hauswand drücken konnte, um nicht unter die Räder zu kommen. Ein Schwall eisigen, schlammigen Wassers durchweichte ihn vom hohen Biberhut bis zu den glänzenden Stiefeln.
    Seine sowieso schon nicht besonders glänzende Laune verwandel- te sich in ein dumpfes Grollen, und nur seine gute Erziehung ließ ihn die höchst unflätigen Schimpfworte unterdrücken, die er dem Kutscher nachrufen wollte. Durchweicht und frierend konnte er sein Büro nicht aufsuchen, sondern musste erst die Kleidung wechseln. Das war ungeheuer ärgerlich, denn einige der anstehenden Arbeiten sollten sehr zügig in Angriff genommen werden. Er schlug also mit schnellen Schritten den Weg zur Hohen Straße ein, um sich umzukleiden.
    Im Haus war alles ruhig, Jette und Albert wirkten irgendwo in den Wirtschaftsräumen, die Kinder machten, wie er wusste, um diese Zeit ihre Aufgaben, und Leonora schien ebenfalls ausgegangen zu sein, denn der Salon war leer, und in den Wohnräumen hielt sie sich nicht auf. Er wollte Lennard bei seinen schulischen Exerzitien nicht stören, Kleider wechseln konnte er noch immer selbstständig, also stieg er mit leisen Schritten die Treppe zum Schlafzimmer hoch und öffnete die Tür.
    Leonora stand mitten im Raum vor dem Kamin, vollkommen nackt, in einer Wanne voll Wasser und wand sich eben ein großes Handtuch um die nassen Haare. Sie bemerkte ihn ganz offensichtlich nicht, er aber hatte das Gefühl, ein Boxhieb direkt auf das Brustbein erhalten zu haben. Es gelang ihm mit letzter Anstrengung, die Tür lautlos zu schließen und wieder nach unten zu gehen. Dort ließ er sich in einen Fauteuil vor dem Feuer nieder und schlug die Hände vor das Gesicht.
    Es war nicht ihre Nacktheit, die ihn derart erschüttert hatte, es war die lange Narbe, die von ihrem Nabel abwärts führte.

    Er wusste, was sie bedeutete.
    Leise flüsterte er: »Leonie, arme Leonie. Oh, Himmel, Leonie, was hast du durchgemacht!«
    Fünfzig Prozent, hatte der Doktor gesagt, überleben den Kaiserschnitt. Die Hälfte der Frauen, denen man bei der Geburt bei vollem Bewusstsein den Bauch und die Gebärmutter aufschnitt, um das Kind auf diesem Wege in die Welt zu bringen.
    Sie hatte überlebt, aber er hatte auch ein Opfer der anderen fünfzig Prozent gesehen, die dieses Glück nicht gehabt hatten. Dieses grauenvolle Bild hatte er sechs Jahre lang versucht zu vergessen. Damals war niemandem an dem Überleben der Frau gelegen gewesen. Wieder hörte er jetzt die gellenden Schreie, die ihn nachts im Lager in der Wüste aufgeschreckt hatten, und zwei Tage später hatte er in einem dornigen Gebüsch die Leiche der schwangeren Sklavin mit der offenen Bauchwunde gefunden. Erst hatte er an ein barbarisches Ritual der Eingeborenen geglaubt, aber dann hatte er herausgefunden, dass eine geheime Sekte das Blut des ungeborenen Kindes für ihre teuflischen Zeremonien verlangte und die Frau geopfert hatte.
    Er zitterte vor dem Feuer, nicht wegen seiner nassen Kleider, sondern vor Entsetzen. Es mischte sich das Bild der Sklavin mit dem von Leonie, und die Übelkeit würgte ihn. Dass Leonie die blanke Panik erfasst hatte, als dieser Idiot von Arzt die operative Entfernung des Blinddarms bei Ursel vorgeschlagen hatte, konnte er mehr als nachfühlen. Er selbst hatte Mühe, ein unkontrolliertes Schreien zu unterdrücken. Langsam, hölzern stand er auf, um sich am Buffet ein Glas Cognac einzugießen. Er zwang sich, es mit langsamen Schlucken zu trinken, damit sein in Aufruhr befindlicher Magen das scharfe Getränk auch behielt. Als er das Glas geleert hatte, klärten sich allmählich seine Gedanken wieder, und die anderen Schlussfolgerungen stellten sich ein.
    Seine Frau hatte ein Kind geboren.
    Vor ihrer Ehe.
    Da sie weder verwitwet noch geschieden war, musste es ein Fehltrittchen gewesen sein. Allmächtiger, und das in diesem frömmelnden Haushalt. Kein Wunder, dass Gutermann um jeden Freier dankbar gewesen war, selbst für einen von protestantischer Konfession.
    Dieser

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