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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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die Gasse geschüttet wurde.
    Menschen, dachte er, waren in der Tiefe ihrer Seele doch noch tierhaft. Sie fühlten die Zeichen der Natur, bevor sie sie sehen
     konnten, krochen aus ihren Löchern wie die Igel, wenn irgendeine geheimnisvolle Kraft verhieß, dass das Leben nun weiterginge.
    Er verließ die Stadt durch das Millerntor und lenkte den Fuchs nach rechts am Hornwerk vorbei zum Fluss. Über dem Steilufer
     blieb er stehen und sah zu den Inseln hinüber, die sich nun deutlich aus dem Grau hoben. Er glaubte sogar den Schemen des
     Harburger Schlosses weit jenseits der Süderelbe zu erkennen. Claes Herrmanns war in Geschäften viel und weit gereist, er hatte
     als junger Mann einige Jahre in London gelernt und gelebt, dennoch würde er stets sagen, er habe sein Leben an der Elbe verbracht.
     Auch wenn das nun schon beinahe fünfzig Jahre währte, wurde er dieses Blickes vom Hochufer über den Fluss und die weite flache
     Landschaft niemals müde.
    Er ritt zum Ufer hinunter und passierte Roosens verlassene Tranbrennerei. Erst im Herbst, wenn die Walfänger mit ihrer wahrhaft
     fetten Beute kamen, wurden die Feuer unter den Kesseln wieder entzündet, sodass der penetrante Gestank des köchelnden Walspecks
     aufstieg. Die stinkende Brennerei hatte ihren Platz außerhalb der Stadt gefunden, so wie die Pulvermühlen und auch das neue
     Hanfmagazin mit ihren leichtentzündlichen Warenam einsamen Elbufer erbaut waren. Der Teerhof am Oberhafen, Lager für alle anderen feuergefährlichen Waren, war auch einmal
     am Rande der Stadt am Oberhafen erbaut worden. Inzwischen waren die Häuser und Speicher viel zu nahe gerückt, es war höchste
     Zeit, sich über einen Neubau außerhalb der Mauern Gedanken zu machen. Hamburg hatte lange schon keinen großen Brand mehr erlebt,
     ein immenses Glück, das aber auch zum Leichtsinn verführte. Immerhin wurde jetzt das Hanfmagazin gebaut. Sozusagen im letzten
     Moment: Den Bremern war es schon beinahe gelungen, den Hanfhandel ganz zu übernehmen, nur weil im Hamburger Hafen keine geeigneten
     Lager zur Verfügung standen.
    Für das neue Magazin hatte die Commerzdeputation gar Jahrzehnte kämpfen müssen. Vor fünf Jahren endlich hatte der Rat zugestimmt,
     sofern die Commerzdeputation als Vertreterin der Kaufmannschaft die Hälfte der Kosten trage. Schließlich wurde die stillgelegte
     Amidammacherei neben den Tranbrennereien gekauft und abgerissen und im vorigen Jahr mit dem Bau begonnen. Claes hasste es,
     bei jedem neuen Unternehmen zu wissen, dass es Jahre, oft Jahrzehnte dauerte, bis es in die Tat umgesetzt wurde. Genauso war
     es mit Maßnahmen gegen die außerordentlich bedrohliche Versandung der Elbe, deren Stand der Planung er nun mit Sonnin besprechen
     wollte. Einige seiner ältesten Freunde saßen im Rat, aber manchmal wünschte er die ganze betuliche Gesellschaft zum Teufel.
    «Hoher Besuch!», rief eine spöttische Stimme. «Die Commerzdeputation persönlich. Welche Ehre.»
    Baumeister Sonnin, den schwarzen Rock wie immer staubig, die Schuhe mit den schlichten Schnallen wie dieWadenstrümpfe nass und voller kalkigem Sand, stand in einer der Ladeluken im ersten Boden des nahezu fertiggestellten Magazins
     und schwenkte vergnügt seinen Dreispitz. Dann verschwand er, um eine Minute später vor dem Gebäude aufzutauchen, und ohne
     mehr als eine Minute für eine Begrüßung zu vergeuden, begann er umgehend, den Besucher herumzuführen.
    «Im Juni», schloss er, als Claes Herrmanns hinter ihm wieder aus dem Magazin trat, ein wenig atemlos von den steilen Treppen
     und nun staubig wie der Baumeister, «ist alles fertig. Dann kann es endlich losgehen. Und hier», Sonnin wischte mit der Hand
     durch die Luft und wies auf den Strand vor der Baustelle, «hier wird in den nächsten Tagen mit dem Bau eines ordentlichen
     Vorsetzen begonnen. Der Giebel», sein Finger fuhr steil in die Luft, «kragt neun Fuß vor, so kann der Hanf von der Winde über
     kleineren Schiffen und Schuten direkt auf die Böden befördert werden. Wie bei den Speichern an den Fleeten.»
    Claes nickte, murmelte etwas wie «Donnerwetter» und «Respekt!» und klopfte höflich anerkennend gegen die massiven Holzstreben,
     die die auskragende Giebelwand stützten.
    «Pass doch auf, Paulung», brüllte plötzlich eine wütende Stimme über den Strand. «Das ist heute schon deine zweite Tölpelei.
     Wenn das nochmal passiert, kannst du gehen. Verdammt», knurrte Bauhofinspektor Kopp und kam mit großen Schritten

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