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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihm nachsagen. Doch nun lasst uns weitergehen. Was haltet Ihr
     von einem wärmenden Glas heißen Wein im
Traubental

    Davon hielt Claes Herrmanns sehr viel. Ihm wäre zwar ein Besuch in Jensens Kaffeehaus lieber gewesen, aber Sonnins Lieblingsschenke
     stand in der Neustadt nicht weit hinter dem Millerntor. Ein unbestreitbarer Vorteil, denn so trennte sie nur eine Viertelstunde
     von dem wärmenden Genuss.

KAPITEL 3
    DONNERSTAG, DEN 9.   MARTIUS,
VORMITTAGS
    Berno Steuer fror. Das lag weniger an seiner dünnen Jacke als am Zustand seines Körpers. Genauer gesagt: seines Kopfes. Der
     schmerzte, als sei ihm in der vergangenen Nacht eine Kiste voller Eisennägel daraufgefallen. Was nicht geschehen war, natürlich
     nicht, schuld war vielmehr der Branntwein. Und Samuel Luther, der besonders. Luther hatte ihn in das Komödienhaus mitgenommen,
     der Teufel wusste, woher er das Geld für die Billetts gehabt hatte. Wieso war Luther, der fahrende Komödianten für nicht besser
     als vogelfreie Kesselflicker ansah, überhaupt auf diese verrückte Idee gekommen?
    Gleich nach der Anfangsmusik zog Luther ein kleines Fläschchen aus der Jacke. Weil doch die Hitze auf der Galerie den Hals
     so trocken mache. Berno sah in Luthers spöttisch feixendes Gesicht und trank. Ein bisschen nur, er hatte längst gelernt, so
     zu tun, als trinke er große Schlucke, wenn er tatsächlich nur winzige nahm. Er mochte diesen Fusel nicht, weder den Geschmack
     noch das Gefühl, wenn die Flüssigkeit ätzend durch seine Kehle rann, den Bauch erreichte und wärmte, als dehne sich darin
     ein dickes hitziges Tier. Noch weniger mochte er das Gefühl des Schwebens und Schwankens, das bald darauf einsetzte, als gehöre
     ihm sein Körper nicht mehr, als sei er nicht mehr Herr seiner Gefühle, Gedanken undWorte. Also trank er fast niemals Branntwein, also vertrug er auch keinen.
    Sicher hätte er auch gestern Abend nicht weitergetrunken, wenn er sie nicht plötzlich am anderen Ende der Galerie entdeckt
     hätte. Sie beugte sich über die Brüstung, und obwohl das Tuch über ihrem Kopf und ihren Schultern ihr Gesicht fast vollständig
     verbarg, erkannte er Anna sofort, so wie er sie immer erkannte, seit er ihr das erste Mal begegnet war.
    Jeder andere wäre dortgeblieben, hätte sich durch die Menge auf der Galerie gedrängt und ihre Nähe gesucht, hätte etwas herumgelärmt
     und angegeben – und er? Er trank, als müsse er sich bestrafen. Er rannte, kaum dass der Vorhang das erste Mal fiel, davon.
     Luther folgte ihm, und von dem, was dann geschah, erinnerte er nur noch wenig. Die Schenke war düster, es stank darin nach
     Tranlampen, schalem Bier und zu vielen Menschen, und der Branntwein, den Luther sofort bestellte, von dem er ihm immer wieder
     nachschenkte, brannte noch schärfer.
    «Pass doch auf, Berno. Schlaf zu Hause auf deinem Strohsack. Hier wird gerudert!» Olaf Hennrichs, Altonas Hafenmeister, saß
     im Bug des Bootes, das Seil mit dem Lot schon in der Hand, und sah sich ärgerlich nach dem Mann um, der über seinem Riemen
     hing, als trüge er die Last der Welt. Berno hoffte, Hennrichs und die beiden anderen Männer, die mit ihm und Luther an den
     Riemen saßen, röchen seinen Atem nicht. Andererseits, sollten sie ihn nur riechen, sollten sie nur lachen. Sie hatten auch
     oft genug gelacht, wenn er den Kopf schüttelte und die Flasche weiterreichte, ohne getrunken zu haben. Diesmal hatte er eben
     getrunken.
    «Noch etwa fünfzig Fuß», rief Hennrichs, der sich wiederumgewandt hatte und auf den Fluss starrte. Fünfzig Fuß. Dann würden sie kurz vor der Barre sein, die sich bei Altona aufgebaut
     hatte. Die Sandbank war immer im Fluss, ragte schräg vom Ufer bis in die Mitte der Fahrrinne und störte die Schifffahrt. Die
     Altonaer hatten eigentlich nichts dagegen, denn so mussten die großen Segler, vollbeladen mit Gütern für die Hamburger Handelshäuser,
     und auch die Grönlandfahrer mit ihren wuchtigen Schiffsbäuchen voller Walspeck im Fluss vor Neumühlen leichtern. Aber Vertrag
     war Vertrag, und die sich immer wieder auftürmenden Anschwemmungen mussten zumindest vermessen werden.
    Auch wenn die Elbe vor Altona und Hamburg nicht so flach war wie bei Bunthaus, wo der Fluss sich in Süder- und Norderelbe
     teilte und in trockenen Sommern vor lauter Schwemmsand schon die Gemüseewer aus den Vierlanden hängen blieben, war sie auch
     hier nicht annähernd so tief, wie es die Schiffer und Kaufleute gern gehabt hätten. Das

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