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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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der Mühe wert war. Aber Sie wissen doch, wie es geht. In einer Stadt wie dieser. Früher oder später geht im Leben der Leute etwas schief. Die Unzufriedenheit wächst. Und die Einsamkeit. Und Leute wie diese, die fast nichts von Musik verstehen, die sagen sich dann, oh, wir haben alles sicher vollkommen falsch angepackt. Laßt uns das genaue Gegenteil versuchen. Diese Anschuldigungen, die sie gegen mich vorbringen! Sie sagen, meine Methode würde das rein Mechanische zelebrieren, ich würde jede natürliche Regung ersticken. Wie wenig Ahnung sie doch haben! Wie wir Ihnen sehr bald schon demonstrieren werden, Mr. Ryder, habe ich lediglich eine Methode, ein System eingeführt, die Leuten wie diesen hier einen Zugang zu Musik wie der von Kazan und Mullery gestattet. Eine Möglichkeit, Bedeutung und Wert dieser Werke zu entdecken. Ich kann Ihnen sagen, als ich damals hierherkam, war es genau das, was sie unbedingt wollten. Eine Ordnung, ein System, das sie begreifen konnten. Die Leute hier waren völlig verunsichert, alles um sie herum brach zusammen. Die Leute hatten Angst, sie spürten, daß sie die Kontrolle über die Dinge verloren. Ich habe Papiere bei mir, Sie werden das ja gleich alles sehen. Und dann werden Sie ganz sicher auch sehen, wie fehlgeleitet die im Augenblick herrschende Meinung ist. Na schön, ich bin nur ein mittelmäßiger Mensch, das leugne ich ja gar nicht. Aber Sie werden sehen, daß ich immer auf dem richtigen Weg gewesen bin. Daß das wenige, das ich erreicht habe, wenigstens ein Anfang war, ein sinnvoller Beitrag. Was man jetzt hier braucht – ich hoffe, Sie verstehen das, Mr. Ryder, wenn Sie das nur verstehen würden, dann ist noch nicht alles verloren in dieser Stadt -, was man jetzt hier braucht, ist jemand, jemand mit mehr Talent, als ich es habe, schön, aber jemand, der fortsetzt, auf dem aufbaut , was ich getan habe. Ich habe einen Beitrag geleistet, Mr. Ryder. Und ich habe den Beweis dafür, das werden Sie sehen, wenn wir ankommen.«
    Wir waren auf eine Hauptverkehrsstraße gestoßen. Die Straße war breit und gerade und enthüllte ein weitläufiges Stück Himmel vor uns. Ganz in der Ferne sah ich zwei schwere Lastwagen, die auf der inneren Spur fuhren, doch ansonsten war die Straße vor uns praktisch leer.
    »Ich hoffe, Mr. Ryder, Sie denken nicht«, sagte Christoff nach einer Weile, »daß diese Mittagessenseinladung an Sie nur eine verzweifelte List meinerseits ist, meine herausragende Stellung hier wieder zurückzugewinnen. Ich sehe ganz deutlich, daß meine persönliche Situation unmöglich geworden ist. Außerdem habe ich nichts mehr zu geben. Ich habe alles gegeben, alles, was ich hatte, alles habe ich dieser Stadt gegeben. Ich will jetzt weggehen, weit weg, irgendwohin, wo es ruhig ist, wo ich allein bin, und nichts mehr mit Musik zu tun haben. Meine Schützlinge werden natürlich niedergeschmettert sein, wenn ich fortgehe. Sie haben sich noch nicht damit abgefunden. Sie wollen, daß ich dagegen ankämpfe. Ein Wort von mir, und sie machen sich an die Arbeit, sie tun ihr Äußerstes, sie gehen sogar von Haus zu Haus. Ich habe ihnen gesagt, wie die Dinge stehen, ich habe es offen und ehrlich dargelegt, aber sie können sich immer noch nicht damit abfinden. Es ist so schwer für sie. Sie haben so lange zu mir aufgeschaut, allen Sinn immer durch mich gefunden. Sie werden niedergeschmettert sein. Aber das macht jetzt auch keinen Unterschied mehr, es muß jetzt zu Ende gehen. Ich will, daß es zu Ende geht. Rosa auch. Jede Minute unserer Ehe ist ein kostbares Geschenk für mich gewesen, Mr. Ryder. Aber zu wissen, daß es zu Ende geht, nur nicht genau zu wissen, wann – das ist schrecklich. Ich will, daß es jetzt zu Ende geht. Ich wünsche Rosa alles Gute. Ich hoffe, sie findet jemand anderen, jemand von richtigem Format. Ich hoffe nur, sie ist klug genug, außerhalb dieser Stadt zu suchen. Diese Stadt kann ihr die Art Mensch nicht bieten, die sie als Ehemann braucht. Keiner hier hat wirklich eine Ahnung von Musik. Ach, wenn ich doch nur Ihr Talent hätte, Mr. Ryder! Rosa und ich, na ja, wir könnten dann zusammen alt werden.«
    Der Himmel hatte sich bewölkt. Der Verkehr war immer noch nicht stärker geworden, und in regelmäßigen Abständen überholten wir Lastwagen, bevor wir in hoher Geschwindigkeit weiterfuhren. Dichte Wälder tauchten zu beiden Seiten auf, dann machten sie schließlich weit ausgedehnten Flächen mit Ackerland Platz. Die Müdigkeit der vergangenen Tage holte

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