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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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schwieg, und als ich zu ihm hinschaute, merkte ich, daß er den Tränen nahe war. Ich spürte eine Woge des Mitgefühls für ihn und sagte sanft:
    »Man kann nie wissen, was die Zukunft noch bringt, Mr. Christoff. Vielleicht finden Sie und Ihre Frau eines Tages ja ein solches Chalet. Und wenn nicht hier, dann in einer anderen Stadt.«
    Christoff schüttelte den Kopf. »Ich weiß, Sie wollen nur nett sein, Mr. Ryder. Aber das hat alles keinen Zweck mehr, wirklich. Zwischen Rosa und mir ist es aus. Sie wird mich verlassen. Ich weiß das schon eine ganze Weile. Die ganze Stadt weiß das sogar schon. Sicherlich haben Sie den Klatsch schon gehört.«
    »Na ja, ich glaube, ein oder zwei Dinge habe ich schon mitbekommen...«
    »Ich bin sicher, es wird sehr viel darüber geklatscht. Das ist mir inzwischen ziemlich egal. Wirklich entscheidend ist doch nur, daß Rosa mich bald verläßt. Sie wird es nicht mehr ertragen, noch weiter mit mir verheiratet zu sein, nicht nach dem, was geschehen ist. Sie dürfen das nicht mißverstehen. Unsere Liebe ist im Lauf der Jahre gewachsen, unsere Liebe ist sehr gewachsen. Aber wissen Sie, zwischen uns hat es, gleich von Anfang an, diese Übereinkunft gegeben. Ach, da ist es ja, Mr. Ryder. Da rechts von Ihnen. Rosa hat oft da gesessen, wo Sie jetzt sitzen, und wir sind dann langsam daran vorbeigefahren. Einmal sind wir so langsam vorbeigefahren und sind so vertieft gewesen, daß wir beinahe mit einem Wagen zusammengestoßen wären, der den Hügel hinaufkam. Ach ja, es hat diese Übereinkunft gegeben. Solange ich die herausragende Stellung in der Gemeinde genoß, die ich bald einnahm, würde sie mich lieben können. O ja, sie hat mich geliebt, sie hat mich aufrichtig geliebt. Das kann ich mit absoluter Überzeugung sagen, Mr. Ryder. Denn sehen Sie, für Rosa ist nichts im Leben so wichtig, wie mit einem Mann verheiratet zu sein, der eine Position einnimmt, wie ich sie hatte. Vielleicht läßt sie das ein wenig oberflächlich erscheinen. Aber Sie dürfen sie nicht falsch verstehen. Auf ihre Art, auf die Art, die sie kannte, hat sie mich tief und innig geliebt. Jedenfalls ist es Blödsinn zu glauben, daß die Leute sich immer weiter lieben, ganz egal, was passiert. Es ist nur so: In Rosas Fall, na ja, so wie sie nun einmal ist, kann sie mich nur unter bestimmten Umständen lieben. Das macht ihre Liebe zu mir nicht weniger wahr.«
    Einen kurzen Moment lang schwieg Christoff wieder, tief in Gedanken versunken. Die Straße machte eine sanfte Biegung und bot auf meiner Seite eine Aussicht steil nach unten. Ich schaute auf das Tal unter uns und sah etwas wie einen wohlhabenden Vorort mit großen Häusern, jedes davon auf einem eigenen Grundstück von etwa einem Morgen Land.
    »Gerade muß ich daran denken«, sagte Christoff, »wie ich das erste Mal in diese Stadt kam. Wie aufgeregt sie alle waren. Und Rosa, wie sie damals im Kulturhaus auf mich zukam.« Wieder schwieg er einen Augenblick. Dann sagte er: »Wissen Sie, damals hatte ich keine hochtrabenden Vorstellungen mehr, was mich betraf. Ich hatte an diesem Punkt meines Lebens schon akzeptiert, daß ich kein Genie war. Nicht einmal annähernd ein Genie. Ich hatte eine Art Karriere gemacht, aber es waren einige Dinge passiert, die mich gezwungen hatten, meine Grenzen zu erkennen. Als ich in diese Stadt kam, hatte ich vorgehabt, in aller Ruhe zu leben – ich habe ein kleines privates Einkommen -, vielleicht hätte ich ein wenig unterrichten können oder so etwas. Aber dann waren die Leute hier so empfänglich für mein bescheidenes Talent. So froh, daß ich hierhergekommen war! Und nach einer Weile fing ich an nachzudenken. Schließlich hatte ich hart, sehr hart, gearbeitet und hatte versucht, mich mit den Methoden der modernen Musik anzufreunden. Ich wußte einiges darüber. Ich schaute mich um und dachte, na ja, hier könnte ich ja einen Beitrag leisten. In einer Stadt wie dieser und so, wie die Dinge damals lagen, sah ich, wie ich es anfangen konnte. Ich sah, wie ich wirklich etwas Gutes leisten konnte. Tja, Mr. Ryder, nach all diesen Jahren bin ich überzeugt davon, daß ich etwas geleistet habe, was der Mühe wert war. Ich bin fest davon überzeugt. Es ist ja nicht nur so, daß meine Schützlinge – meine Kollegen, sollte ich sagen, meine Freunde, die Sie bald kennenlernen werden -, es ist ja nicht nur so, daß sie mich das haben denken lassen. Nein, ich bin davon überzeugt, ich bin fest davon überzeugt. Ich habe hier etwas geleistet, was

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