Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
Vom Netzwerk:
sagte er, »da Henri fest entschlossen ist, uns einander nicht vorzustellen, stelle ich mich selber vor. Ich bin Dr. Lubanski. Wie Sie ja wissen, standen Henri und ich uns einmal sehr nahe. Aber Sie sehen ja, jetzt spricht er nicht einmal mehr mit mir.«
    »Du bist hier nicht erwünscht.« Christoff schaute den Mann immer noch nicht an. »Hier will dich keiner haben.«
    »Sehen Sie, Mr. Ryder? Henri hatte immer schon diese kindische Seite. Wie dumm. Ich selbst habe mich schon vor langer Zeit damit abgefunden, daß unsere Wege sich getrennt hatten. Früher haben wir zusammengesessen und uns stundenlang unterhalten. Nicht, Henri? Wir haben dieses oder jenes Werk genauestens auseinandergenommen, haben es über unserem Bier im Schoppenhaus in allen Nuancen analysiert. Ich denke immer noch gern an jene Tage im Schoppenhaus zurück. Manchmal wünschte ich sogar, daß ich diese gute Idee, dir zu widersprechen, nie gehabt hätte. Daß wir uns heute abend wieder zusammen hinsetzen und stundenlang miteinander reden und über Musik diskutieren könnten und darüber, wie du dieses oder jenes Stück anlegst. Ich lebe allein, Mr. Ryder. Wie Sie sich wohl denken können« – er machte eine kurze Pause – »wird es manchmal doch ein wenig einsam. Und dann fange ich immer an, daran zu denken, wie es damals war. Ich sage mir, wie schön es doch wäre, einfach wieder mit Henri zusammenzusitzen und über eine Partitur zu sprechen, an der er gerade arbeitet. Es gab eine Zeit, da hat er nichts entschieden, ohne sich vorher mit mir zu beraten. Stimmt es, Henri? Komm schon, wir wollen nicht kindisch sein. Laß uns doch wenigstens höflich miteinander umgehen.«
    »Warum ausgerechnet heute?« rief Christoff plötzlich. »Kein Mensch will dich hier haben! Die sind immer noch alle wütend auf dich! Schau nur! Schau dich doch nur um!«
    Dr. Lubanski, der diesen Ausbruch nicht beachtete, ließ sich von einer weiteren Erinnerung mitreißen, die ihn selbst und Christoff betraf. Bald schon bekam ich gar nicht mehr mit, worum es in der Geschichte eigentlich ging, und ich mußte feststellen, daß mein Blick zu den Leuten hinter ihm wanderte, die nervös von den Tischen ganz hinten zuschauten.
    Von diesen Leuten schien keiner über Vierzig zu sein. Es waren auch drei Frauen da, und mir fiel auf, daß besonders eine von ihnen mich mit einer merkwürdigen Intensität ansah. Sie war Anfang Dreißig, trug ein langes schwarzes Gewand und eine Brille mit kleinen dicken Gläsern. Ich hätte mir auch die anderen genauer angesehen, doch gerade in dem Moment dachte ich wieder daran, was für ein geschäftiger Tag noch vor mir lag und wie dringend nötig es war, daß ich gegenüber meinen Gastgebern hier entschlossen auftrat, wenn ich nicht über die zugebilligte Zeit hinaus aufgehalten werden wollte.
    Als Dr. Lubanski kurz innehielt, berührte ich Christoff am Arm und sagte leise: »Ob wohl die anderen noch sehr viel länger auf sich warten lassen?«
    »Tja...« Christoff schaute sich in dem Raum um. Dann erwiderte er: »Es scheint so, als wären das alle für heute.«
    Ich hatte den Eindruck, daß er auf Widerspruch hoffte. Als niemand etwas sagte, drehte er sich mit einem kurzen Auflachen wieder zu mir um.
    »Eine kleine Runde«, sagte er, »aber nichtsdestotrotz haben wir... haben wir die besten Köpfe der Stadt hier unter uns, das dürfen Sie mir glauben. Also bitte, Mr. Ryder.«
    Er fing an, mir seine Freunde vorzustellen. Sie alle lächelten nervös und sagten ein paar Worte zur Begrüßung, wenn ihr Name fiel. Ich merkte, daß Dr. Lubanski langsam in den hinteren Teil des Raumes zurückging und dabei nicht einmal den Blick abwendete von dem, was hier vorging. Als dann Christoff mit seinen Vorstellungen zum Ende gekommen war, lachte Dr. Lubanski laut auf, womit er ersteren veranlaßte, ihm einen Blick voll kalter Wut zuzuwerfen. Dr. Lubanski, der sich inzwischen wieder an seinen Tisch in der Ecke gesetzt hatte, lachte noch einmal auf und sagte:
    »Na, Henri, was auch immer du im Lauf der Jahre verloren hast, deinen Mut hast du jedenfalls nicht verloren. Du willst wirklich vor Mr. Ryder diese ganze Offenbach-Geschichte ausbreiten? Vor Mr. Ryder?« Er schüttelte den Kopf.
    Christoff starrte seinen früheren Freund immer weiter an. Irgendeine vernichtende Erwiderung schien seinen Lippen entweichen zu wollen, doch dann drehte er sich im letzten Moment weg, ohne etwas zu sagen.
    »Wirf mich doch hinaus, wenn du willst«, sagte Dr. Lubanski und wandte sich

Weitere Kostenlose Bücher