Die Ungetroesteten
übertreibe nicht. Ich weiß noch, wie es war, als Vater auf Ihre Antwort wartete. Immer, wenn von Ihnen die Rede war, verfiel er in dieses merkwürdige Schweigen. Und als dann der Druck immer stärker wurde, brummelte er oft leise vor sich hin: ›Wie lange noch? Wie lange wird er mich noch auf seine Antwort warten lassen? Er wird absagen. Ich fühle es.‹ Ich habe mich wirklich anstrengen müssen, um ihn wieder aufzumuntern. Na, jedenfalls können Sie sich ja vorstellen, wie wichtig Ihre Anwesenheit hier für ihn ist. Er ist ein solcher Perfektionist! Wenn er ein Ereignis wie diesen Donnerstag abend organisiert, muß alles, aber auch wirklich alles, hundertprozentig klappen. Jede Einzelheit geht er wieder und wieder durch. Manchmal treibt er dieses Streben nach Perfektion allerdings wirklich etwas zu weit. Aber wenn er in dem Punkt anders wäre, dann wäre er nicht Vater, und nicht einmal die Hälfte seiner Vorhaben wäre erfolgreich.«
»Ach ja. Er scheint wirklich ein bewundernswerter Mensch zu sein.«
»Also eigentlich, Mr. Ryder«, sagte der junge Mann, »hatte ich Sie etwas fragen wollen. Tatsächlich ist es mehr eine Bitte. Und wenn es nicht geht, dann sagen Sie es nur. Ich nehme es bestimmt nicht übel.«
Stephan Hoffman schwieg, als wolle er all seinen Mut zusammennehmen. Ich trank noch einen Schluck Kaffee und betrachtete im Spiegel, wie wir da so nebeneinandersaßen.
»Also, es hat mit Donnerstag abend zu tun«, fuhr er fort. »Sie müssen wissen, Vater hat mich gebeten, bei der Veranstaltung Klavier zu spielen. Ich habe geübt, und ich bin auch soweit, und es ist nicht so, daß ich mir Sorgen deswegen mache oder so etwas...« Während er das sagte, verließ ihn seine selbstbewußte Art, und für einen kurzen Moment sah ich einen schüchternen Heranwachsenden. Aber sofort hatte er sich mit einem lässigen Achselzucken wieder im Griff. »Es ist ja bloß, weil dieser Donnerstag abend so wichtig ist und ich ihn nicht enttäuschen möchte. Also folgendes: Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit hätten und einmal zuhören würden, wenn ich mein Stück durchspiele. Ich habe mir Jean Louis La Roches Dahlia ausgesucht. Wie gesagt, ich spiele nur aus Liebhaberei, und Sie müßten schon ein bißchen Nachsicht haben. Aber ich habe mir gedacht, ich könnte es einfach einmal durchspielen, und Sie könnten mir verraten, wie ich einige Stellen noch verbessern könnte.«
Ich dachte einen Augenblick darüber nach. »Also«, sagte ich nach einer Weile, »Sie sind entschlossen, Donnerstag abend aufzutreten.«
»Natürlich ist es nur ein bescheidener Beitrag zu dieser Veranstaltung – verglichen mit... nun ja«, er lachte auf, »den anderen Auftritten. Aber trotzdem möchte ich, daß mein Vorspiel so gut wie nur möglich wird.«
»Ja, das verstehe ich vollkommen. Also, ich würde mich freuen, Ihnen zu helfen, so gut ich kann.«
Über das Gesicht des jungen Mannes ging ein Strahlen. »Oh, Mr. Ryder, ich bin sprachlos! Das ist genau das, was ich brauche...«
»Aber da gibt es ein kleines Problem. Sie können sich ja wohl vorstellen, daß meine Zeit hier recht knapp bemessen ist. Ich weiß noch nicht genau, wann ich ein paar Minuten Zeit für Sie erübrigen kann.«
»Ja, natürlich. Wann immer es Ihnen paßt, Mr. Ryder. Du meine Güte, das ist ja wirklich wundervoll. Um ganz ehrlich zu sein, ich war fest davon überzeugt, daß Sie meine Bitte rundheraus ablehnen würden.«
Auf einmal war irgendwo in der Kleidung des jungen Mannes ein Piepser zu hören. Stephan schreckte hoch, dann langte er in die Innentasche seiner Jacke.
»Tut mir furchtbar leid«, sagte er, »aber das ist wirklich dringend. Ich hätte schon längst weg sein müssen. Aber als ich Sie hier habe sitzen sehen, Mr. Ryder, mußte ich einfach herüberkommen. Ich hoffe, wir können unser Gespräch bald fortsetzen. Aber jetzt darf ich mich entschuldigen.«
Er stieg von dem Barhocker, doch dann schien er eine Sekunde lang in Versuchung, eine weitere Unterhaltung zu beginnen. Dann ließ sich der Piepser wieder hören, und der junge Mann eilte verlegen lächelnd davon.
Ich drehte mich wieder zu meinem Spiegelbild hinter dem Bartresen um und widmete mich wieder meinem Kaffee. Doch es wollte mir nicht gelingen, die Stimmung entspannter innerer Ruhe erneut heraufzubeschwören, die ich vor der Ankunft des jungen Mannes verspürt hatte. Statt dessen war da wieder die Befürchtung, daß man hier sehr viel von mir erwartete, daß aber im
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