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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Augenblick der Stand der Dinge alles andere als zufriedenstellend war. Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als Miss Stratmann aufzusuchen und einige Punkte ein für allemal zu klären. Ich beschloß, zu ihr zu gehen, sobald ich diese Tasse Kaffee ausgetrunken hatte. Es gab überhaupt keinen Grund dafür, daß dieses Treffen unangenehm verlaufen sollte, und es wäre sicher ganz einfach zu erklären, was bei unserer letzten Begegnung schiefgegangen war. »Miss Stratmann«, könnte ich etwa sagen, »ich war vorhin sehr müde, und deshalb habe ich Sie mißverstanden, als Sie nach meinem Terminplan gefragt haben. Ich dachte, Sie wollten wissen, ob ich Zeit hätte, mir den Plan sofort anzusehen, wenn Sie mir an Ort und Stelle eine Kopie gegeben hätten.« Ich könnte aber auch in die Offensive gehen oder sogar in vorwurfsvollem Ton mit ihr reden. »Also, Miss Stratmann, ich muß schon sagen, ich bin recht besorgt und... ja sogar ein wenig enttäuscht. Wenn man bedenkt, welch hohe Verantwortung Sie und die Bürger dieser Stadt mir offensichtlich aufbürden wollen, sollte ich doch wohl mit Fug und Recht ein gewisses Niveau bei der Organisation erwarten dürfen.«
    Ich hörte, wie sich ganz in meiner Nähe etwas bewegte, schaute auf und sah, daß Gustav, der ältliche Hoteldiener, neben meinem Hocker stand. Als ich mich zu ihm umdrehte, lächelte er und sagte:
    »Ach, hallo. Ganz zufällig habe ich Sie hier sitzen sehen. Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl hier bei uns.«
    »O ja, bestimmt. Allerdings hatte ich leider noch keine Gelegenheit, in die Altstadt zu gehen, wie Sie mir empfohlen hatten.«
    »Das ist wirklich schade. Denn das ist ein ganz besonders schönes Viertel und auch ganz hier in der Nähe. Und heute ist das Wetter... also, einfach ideal, finde ich. Die Luft angenehm kühl, aber noch Sonnenschein. Gerade noch warm genug, um draußen zu sitzen, obwohl Sie sicher eine Jacke oder einen leichten Mantel tragen müßten. Wirklich genau das richtige Wetter für einen Besuch in der Altstadt.«
    »Wissen Sie was«, sagte ich, »ein bißchen frische Luft könnte jetzt genau das sein, was ich brauche.«
    »Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Es wäre geradezu eine Schande, wenn Sie wieder abreisen würden, ohne wenigstens einen kurzen Spaziergang durch die Altstadt gemacht zu haben.«
    »Wissen Sie was, ich glaube, genau das werde ich jetzt tun. Ich gehe sofort los.«
    »Und wenn Sie dann noch Zeit haben, sich am Alten Platz ins Ungarische Café zu setzen, werden Sie es sicher nicht bereuen. Ich würde vorschlagen, Sie bestellen sich ein Kännchen Kaffee und ein Stück Apfelstrudel. Übrigens, da fällt mir gerade ein...« Der Hoteldiener schwieg einen Augenblick. Dann fuhr er fort: »Da fällt mir gerade ein, daß ich Sie um einen kleinen Gefallen bitten wollte. Normalerweise würde ich Gäste des Hotels nicht darum bitten, mir einen Gefallen zu tun, aber in Ihrem Fall, nun ja, ich glaube, wir haben einander schon recht gut kennengelernt.«
    »Ich würde sehr gern etwas für Sie tun, wenn es nur möglich ist«, antwortete ich.
    Einen Moment lang blieb der Hoteldiener schweigend an seinem Platz stehen.
    »Es ist nur eine Kleinigkeit«, sagte er schließlich. »Sehen Sie, ich weiß, daß genau jetzt um diese Zeit meine Tochter im Ungarischen Café sein wird. Sie wird den kleinen Boris bei sich haben. Sie ist eine sehr liebenswürdige junge Frau, ich bin sicher, Sie werden sie sehr sympathisch finden. Das geht den meisten Leuten so. Sie ist nicht gerade das, was man schön nennen würde, aber sie ist eine recht attraktive Erscheinung. Sie ist wirklich herzensgut. Aber ich nehme an, daß sie diese kleine Schwäche immer schon in sich hatte. Vielleicht war es die Art und Weise, wie sie aufgewachsen ist, wer kann das schon sagen? Aber auf jeden Fall war es immer schon da. Das heißt, sie neigt dazu, sich manchmal von den Problemen erdrücken zu lassen, selbst wenn sie sie durchaus bewältigen könnte. Eine kleine Schwierigkeit ergibt sich, und statt die wenigen schlichten Maßnahmen zu ergreifen, die nötig wären, grübelt sie einfach darüber nach. Auf die Weise, und das wissen Sie ja, wachsen sich kleine Probleme zu großen aus. Und bald erscheinen ihr die Dinge äußerst kompliziert, und sie steigert sich in höchste Verzweiflung hinein. Das ist alles so unnötig. Ich weiß nicht, was ihr gerade im Moment Sorgen bereitet, aber ich bin sicher, so unüberwindlich ist das Problem nicht. Ich habe das schon so oft gesehen. Aber

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