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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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besser, wenn ich Ihnen ein kleines Beispiel gebe. Nehmen Sie etwa diese Nachmittage, an denen Boris und ich nach unseren kleinen Spaziergängen durch die Altstadt auf sie warten. Wir sitzen zum Beispiel in Krankls Kaffeehaus. Boris ist gut gelaunt, spricht laut, lacht über alles. Doch sobald er seine Mutter durch die Tür kommen sieht, sagt er kein Wort mehr. Er ist nicht etwa verstört, er hält sich einfach nur zurück. Er respektiert das Ritual, verstehen Sie? Dann kommt Sophie an unseren Tisch und spricht ihn an. Haben wir uns gut amüsiert? Wo sind wir hingegangen? Hat sich Großvater auch nicht erkältet? O ja, sie fragt immer nach mir. Sie macht sich Sorgen, daß ich mir bei diesen Streifzügen durch das Viertel etwas holen könnte. Aber wie ich schon sagte, Sophie und ich – wir sprechen nicht direkt miteinander. ›Sag auf Wiedersehen zu Großvater‹, sagt sie dann immer zu Boris statt eines Abschiedsgrußes, und dann gehen sie zusammen weg. So stehen die Dinge zwischen uns schon seit vielen Jahren, und es scheint keinen rechten Grund zu geben, ausgerechnet jetzt etwas daran zu ändern. Aber wissen Sie, in solchen Situationen fühle ich mich so hilflos. Ich bin wirklich davon überzeugt, ein ordentliches Gespräch ist genau das, was ihr fehlt. Und jemand wie Sie wäre meiner Meinung nach ideal. Bloß ein paar Worte. Bloß damit sie erkennt, wo die eigentlichen Probleme liegen. Wenn Sie bloß das tun würden, den Rest macht sie dann schon allein, darauf können Sie sich verlassen.«
    »Na schön«, sagte ich, nachdem ich einen Moment darüber nachgedacht hatte. »Na schön, ich will sehen, was ich tun kann. Aber ich muß noch einmal klar und deutlich sagen, was ich vorhin schon angedeutet habe. Diese Dinge sind für einen Außenstehenden oft zu kompliziert. Aber ich will sehen, was ich tun kann.«
    »Ich bin Ihnen sehr verbunden. Sie ist jetzt um diese Zeit im Ungarischen Café. Sie dürften keine Probleme haben, sie zu erkennen. Sie hat langes dunkles Haar und sieht mir recht ähnlich. Und wenn Sie im Zweifel sind, können Sie immer den Besitzer oder einen der Angestellten bitten, sie Ihnen zu zeigen.«
    »Na schön. Ich mache mich gleich auf den Weg.«
    »Ich bin Ihnen ja so verbunden. Und selbst wenn es aus irgendeinem Grund nicht möglich ist, mit ihr zu reden, bin ich sicher, der Spaziergang durch die Gegend da wird Ihnen Spaß machen.«
    Ich stieg von dem Barhocker. »Also gut«, sagte ich zu ihm, »ich sage Ihnen dann, wie ich vorangekommen bin.«
    »Ganz, ganz herzlichen Dank.«

DREI
    Der Weg vom Hotel zur Altstadt – ein fünfzehnminütiger Spaziergang – war alles andere als vielversprechend. Rechts und links der lauten Straßen, im spätnachmittäglichen Berufsverkehr, ragten über mir gläserne Bürogebäude in die Höhe. Aber als ich an den Fluß kam und die bucklige Brücke betrat, die zur Altstadt führte, spürte ich, daß ich dabei war, in eine vollkommen andere Atmosphäre einzutreten. Am gegenüberliegenden Ufer sah man bunte Markisen und die Sonnenschirme von Kaffeehäusern. Ich nahm das Hin und Her von Kellnern wahr und im Kreis herumlaufende Kinder. Auf dem Kai bellte aufgeregt ein winziger Hund, der vielleicht meine Ankunft bemerkt hatte.
    Wenige Augenblicke später befand ich mich in der Altstadt. Die engen Straßen mit ihrem Kopfsteinpflaster waren voller Menschen, die gemächlich vor sich hin spazierten. Einige Minuten lang ging ich ziellos umher, an etlichen Souvenirläden, Konditoreien und Bäckereien vorüber. Ich kam auch an mehreren Cafés vorbei, und einen Moment lang fragte ich mich, ob ich wohl Schwierigkeiten haben würde, das Café zu finden, das der Hoteldiener mir genannt hatte. Aber da gelangte ich zu einem weitläufigen Platz im Herzen des Stadtviertels, und das Ungarische Café lag unübersehbar vor mir. Die Tische, die die ganze hintere Ecke des Platzes einnahmen, standen, soweit ich das erkennen konnte, vor einem schmalen Eingang unter einer gestreiften Markise.
    Ich blieb kurz stehen, um zu Atem zu kommen und die Umgebung in mich aufzunehmen. Die Sonne war kurz davor, über dem Platz unterzugehen. Es wehte, wie Gustav schon warnend erwähnt hatte, ein leichter kühler Wind, der dann und wann ein Zittern durch die Sonnenschirme gehen ließ, die um das Café herum aufgestellt waren. Trotzdem war die Mehrzahl der Tische besetzt. Viele Café-Besucher schienen Touristen zu sein, aber ich bemerkte auch eine ganze Reihe Leute, die nach Einheimischen aussahen und die

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