Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
Vom Netzwerk:
-, blieb Boris auf dem Teppich liegen, ohne ein Wort zu sagen, nur gelegentlich gab er ein roboterähnliches Geräusch von sich. Immer wenn ich ihm einen verstohlenen Blick zuwarf, sah ich, daß er den Kopf noch eingezogen hatte, und ich beschloß, nichts zu ihm zu sagen, bevor er nicht mit diesem albernen Spiel aufgehört hatte. Ob er nun den Kopf jedesmal einzog, wenn er dachte, ich würde ihn gleich ansehen, oder ob er ihn die ganze Zeit in diesem zusammengezogenen Zustand hielt, konnte ich nicht sagen, aber das war mir auch schnell egal. Dann soll er eben da liegenbleiben, dachte ich bei mir und las weiter.
    Nach etwa zwanzig Minuten kam Sophie herein, in der Hand eine Platte, auf der sich das Essen türmte. Da waren Blätterteigpastetchen, appetitliche Häppchen, pikante Kuchen, alles in handliche Stücke geschnitten und höchst kunstvoll garniert. Sophie stellte die Platte auf den Eßzimmertisch.
    »Ihr seid ja so ruhig«, sagte sie und schaute sich im Zimmer um. »Na kommt schon, jetzt wollen wir uns amüsieren. Schau nur, Boris! Und es kommt sogar noch eine zweite Platte. Alle deine Lieblingsgerichte! Also, warum suchst du nicht ein Brettspiel aus, das wir nachher spielen können, während ich in die Küche gehe und den Rest hole.«
    Sobald Sophie wieder in der Küche verschwunden war, sprang Boris auf, ging zum Tisch hinüber und stopfte sich eine Pastete in den Mund. Ich war schon in Versuchung, ihn darauf hinzuweisen, daß sein Kopf jetzt wieder in der normalen Stellung war, doch schließlich las ich einfach still in meiner Zeitung weiter. Boris gab noch einmal ein Sirenengeräusch von sich, und dann lief er schnell durch das Zimmer und blieb vor einem großen Schrank in der hintersten Ecke des Zimmers stehen. Mir fiel ein, daß in diesem Schrank die Brettspiele aufbewahrt wurden, große, flache Kartons, die sich bedenklich auf dem anderen Spielzeug und auf Haushaltsgegenständen stapelten. Boris schaute noch eine Weile zum Schrank hin, dann riß er plötzlich die Tür auf.
    »Welches spielen wir denn?« fragte er.
    Ich tat so, als hätte ich nichts gehört, und las einfach weiter. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln heraus, zuerst drehte er sich zu mir um, aber als es ihm dann dämmerte, daß ich nicht antworten würde, wandte er sich wieder dem Schrank zu. Eine Zeitlang stand er da und betrachtete seinen Stapel mit den Brettspielen, dann und wann streckte er die Hand aus, um den Rand des einen oder anderen Kartons zu befingern.
    Sophie kam mit noch mehr Essen zurück. Als sie sich daranmachte, alles auf dem Tisch zu arrangieren, ging Boris zu ihr hin, und ich hörte, wie die beiden sich leise unterhielten.
    »Du hast gesagt, ich kann auf dem Boden essen«, beharrte Boris.
    Nach einer Weile ließ er sich dann wieder vor mir auf den Teppich fallen und stellte einen vollgehäuften Teller neben sich.
    Ich stand auf und ging zum Tisch. Eifrig bemüht hielt sich Sophie in meiner Nähe, als ich einen Teller nahm und die Auswahl betrachtete.
    »Das sieht ja prachtvoll aus«, sagte ich, während ich mich bediente.
    Ich ging zum Sofa zurück. Wenn ich meinen Teller auf ein Kissen neben mich stellte, würde ich gleichzeitig essen und meine Zeitung lesen können. Ich hatte vorhin beschlossen, die Zeitung sehr gründlich zu studieren, ja selbst die Annoncen hiesiger Geschäftsleute eingehend zu prüfen, und das begann ich jetzt, wobei ich gelegentlich zu meinem Teller griff, ohne den Blick von der Zeitung abzuwenden.
    Inzwischen hatte sich Sophie neben Boris auf den Teppich gesetzt, und von Zeit zu Zeit stellte sie ihm eine Frage – wie ihm ein bestimmtes Fleischpastetchen schmeckte oder etwas über einen Schulfreund. Doch immer, wenn sie auf diese Weise versuchte, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, hatte Boris den Mund zu voll, um mit mehr als nur einem Grunzen zu antworten. Dann fragte Sophie: »Na, Boris, hast du dich entschieden, welches Spiel du willst?«
    Ich spürte, daß der Blick des Jungen jetzt auf mir ruhte. Dann sagte er ruhig:
    »Ist mir egal, welches wir spielen.«
    »Das ist dir egal?« Sophies Stimme klang, als könnte sie das kaum glauben. Es entstand eine längere Pause, dann sagte sie: »Na schön. Wenn es dir egal ist, suche ich eben eines aus.« Ich hörte, daß sie aufstand. »Dann gehe ich es jetzt aussuchen.«
    Mit dieser Taktik schien sie für einen Moment das Interesse des Jungen zu wecken. Ziemlich aufgeregt stand er auf und folgte seiner Mutter zum Schrank, und ich hörte, daß

Weitere Kostenlose Bücher