Die Ungetroesteten
sich die zwei vor den Regalen mit den Kartons berieten. Sie sprachen leise, als ob sie darauf Rücksicht nehmen wollten, daß ich am Lesen war. Schließlich kamen sie zurück und setzten sich wieder auf den Fußboden.
»Na komm, laß uns dieses aufbauen«, sagte Sophie. »Wir können ja schon anfangen zu spielen, während wir noch essen.«
Als ich das nächste Mal zu ihnen hinunterschaute, war das Brett schon aufgeklappt, und mit einiger Begeisterung plazierte Boris die Karten und Plastikspielsteine. Deshalb war ich überrascht, als ich Sophie nach ein paar Minuten sagen hörte:
»Was ist denn los? Du hast doch gesagt, daß du das hier willst.«
»Ja, wollte ich auch.«
»Also, was ist denn los, Boris?«
Es entstand eine Pause, bevor Boris antwortete: »Ich bin auch müde. Genau wie Papa.«
Sophie seufzte. Dann sagte sie unvermittelt mit etwas fröhlicherer Stimme:
»Ach, Boris, Papa hat ja etwas für dich gekauft.«
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, ich mußte einfach um die Zeitung herumlugen, und da sah ich, daß mir Sophie ein verschwörerisches Lächeln schenkte.
»Kann ich es ihm jetzt geben?« fragte sie mich.
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete, und warf ihr einen fragenden Blick zu, aber sie stand auf und verließ das Zimmer. Fast sofort kam sie wieder zurück und hielt das zerschlissene Heimwerkerhandbuch hoch, das ich am Abend zuvor in dem Kino gekauft hatte. Boris, der seine vermeintliche Müdigkeit vergaß, sprang auf, doch Sophie neckte ihn ein wenig und hielt das Buch außer Reichweite des Jungen.
»Papa und ich sind gestern abend ausgegangen«, sagte sie. »Es war ein wunderbarer Abend, und mittendrin hat er an dich gedacht und das hier für dich gekauft. So etwas hast du noch nie gehabt, oder, Boris?«
»Nun sag ihm bloß nicht, daß es so etwas Besonderes ist«, sagte ich von hinter der Zeitung hervor. »Es ist doch nur ein altes Handbuch.«
»Das war sehr lieb von Papa, nicht?«
Ich warf noch einen verstohlenen Blick zu ihnen hinüber. Sophie hatte Boris jetzt erlaubt, das Buch zu nehmen, und er hatte sich auf die Knie fallen lassen, um es anzuschauen.
»Das ist toll«, murmelte er und blätterte das Buch durch. »Das ist wirklich toll.« Er hielt bei einer Seite an und starrte darauf. »Man kriegt einfach alles gezeigt.«
Er blätterte noch ein paar Seiten um, und während er das tat, gab das Buch ein heftiges Knacken von sich und zerfiel in zwei Hälften. Boris blätterte weiter die Seiten um, als sei nichts geschehen. Sophie, die schon nach dem Buch greifen wollte, hielt inne, als sie die Reaktion des Jungen sah, und richtete sich wieder auf.
»Man kriegt einfach alles gezeigt«, sagte Boris. »Das ist phantastisch.«
Ich hatte das vage Gefühl, daß er mir etwas Bestimmtes sagen wollte. Ich las weiter, und einen Augenblick später hörte ich Sophie leise sagen: »Ich gehe Tesafilm holen. Damit kriegen wir das schon wieder hin.«
Ich hörte, daß Sophie den Raum verließ, und las weiter. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, daß Boris immer noch die Seiten umblätterte. Nach einer Weile schaute er zu mir und sagte:
»Es gibt eine spezielle Bürste zum Tapezieren!«
Ich las weiter. Schließlich kam Sophie wieder herein.
»Komisch, ich kann den Tesafilm nirgends finden«, murmelte sie vor sich hin.
»Das Buch ist einfach toll«, sagte Boris zu ihr. »Man kriegt wirklich alles gezeigt.«
»Komisch. Na, vielleicht haben wir ihn aufgebraucht.« Sophie ging wieder zurück in die Küche.
Ich erinnerte mich vage daran, daß mehrere Rollen Klebeband in demselben Schrank aufbewahrt wurden, in dem auch die Brettspiele lagen, in einer der Schubladen auf der rechten Seite, ziemlich weit unten. Ich zog in Erwägung, meine Zeitung wegzulegen und hinüberzugehen, um eine Suchaktion zu starten, aber da kam Sophie wieder in das Wohnzimmer.
»Na, macht nichts«, sagte sie. »Dann kaufe ich morgen welches, und dann reparieren wir das Buch. Also komm jetzt, Boris, wir wollen mit dem Spiel anfangen, sonst werden wir vor dem Schlafengehen überhaupt nicht mehr fertig.«
Boris antwortete nicht. Ich hörte, daß er immer noch auf dem Teppich saß und die Seiten umblätterte.
»Na, wenn du nicht spielen willst«, sagte Sophie, »fange ich eben allein an.«
Ich hörte, wie sie den Würfel im Becher schüttelte. Während ich weiter in meiner Zeitung las, verspürte ich unwillkürlich ein wenig Mitleid mit Sophie, weil der Abend eine solche Wendung genommen hatte. Aber sie
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