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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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vollgestopft war. Etliche Mops fielen heraus und schlugen mit lautem Geklapper auf dem Marmorboden auf, wobei sich eine dunkle, flusige Substanz in alle Richtungen ausbreitete. Ich schaute in den Wandschrank und sah eine unordentliche Anhäufung von Eimern, öligen Lappen und Spraydosen.
    »Verzeihung«, flüsterte ich dem Mann in Livree zu, der mir am nächsten stand, als er sich beeilte, alles wieder aufzusammeln, und während man anklagende Blicke in unsere Richtung warf, lief ich zur Tür daneben.
    Fest entschlossen, denselben Fehler nicht zweimal zu machen, ging ich daran, diese zweite Tür mit äußerster Vorsicht zu öffnen. Dabei ging ich sehr langsam vor, und obwohl ich viele Blicke in meinem Rücken spürte, obwohl ich ein anschwellendes Stimmengewirr hörte und eine Stimme, die ganz in meiner Nähe sagte: »Mein Gott, das ist doch Mr. Ryder, oder?«, widerstand ich der Versuchung, in Panik zu geraten, und zog die Tür Stück für Stück in meine Richtung auf, und dabei blinzelte ich immer wieder durch den Spalt, um sicherzugehen, daß es dort nichts gab, was herausfallen könnte. Als ich zu meiner großen Erleichterung sah, daß die Tür auf einen Korridor führte, trat ich schnell hindurch und gab Sophie und Boris Zeichen, mir unverzüglich zu folgen.

ZWANZIG
    Ich schloß die Tür hinter ihnen, und alle drei schauten wir uns um. Triumphierend nahm ich zur Kenntnis, daß ich mich beim zweiten Versuch genau für die richtige Tür entschieden hatte, und so standen wir jetzt in dem langen dunklen Korridor, der am Salon des Hotels vorbei in die Hotelhalle führte. Im ersten Moment blieben wir reglos stehen, ein wenig benommen von der Stille nach dem Lärm in der Galerie. Dann gähnte Boris und sagte: »Das war aber eine langweilige Party.«
    »Entsetzlich«, erwiderte ich und spürte wieder diese Wut auf die Leute bei dem Empfang in mir aufsteigen. »Was für ein armseliger Haufen. Die haben nicht das geringste Gespür für anständiges Benehmen.« Dann fügte ich hinzu: »Mutter war entschieden die schönste Frau dort. Nicht wahr, Boris?«
    Sophie kicherte in der Dunkelheit.
    »Ja, das war sie«, sagte ich. »Entschieden die schönste Frau dort.«
    Boris schien etwas sagen zu wollen, aber genau in dem Moment nahmen wir ein schleifendes Geräusch wahr, das von irgendwo aus der uns umgebenden Dunkelheit kam. Als sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, gelang es mir, weiter hinten auf dem Korridor die Umrisse eines riesigen Monstrums auszumachen, das langsam auf uns zukam und mit jeder Bewegung dieses Geräusch von sich gab. Zur selben Zeit hatten auch Sophie und Boris die Gegenwart dieses Monstrums bemerkt, und einen Augenblick lang schienen wir alle wie erstarrt. Dann stieß Boris flüsternd hervor:
    »Das ist Großvater!«
    Da sah ich, daß das Monstrum tatsächlich Gustav war. Er lief weit nach vorn gebeugt und trug einen Koffer unter dem Arm und einen zweiten am Griff, einen dritten zog er hinter sich her – daher das schleifende Geräusch. Einen Moment lang schien er kaum von der Stelle zu kommen, sondern sich einfach nur in einem langsamen Rhythmus hin und her zu wiegen.
    Boris lief freudig auf ihn zu, während Sophie und ich etwas zögerlicher hinterhergingen. Als wir näher kamen, blieb Gustav, der unsere Anwesenheit endlich bemerkt hatte, stehen und richtete sich wieder halb auf. Ich konnte im Dunkeln seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber seine Stimme klang fröhlich, als er sagte: »Boris. Was für eine schöne Überraschung.«
    »Das ist Großvater!« rief Boris noch einmal. Dann fragte er: »Hast du viel zu tun?«
    »Ja, im Augenblick haben wir viel Arbeit.«
    »Du mußt wirklich sehr viel zu tun haben.« In der Stimme des Jungen schwang eine merkwürdige Anspannung mit. »Sehr, sehr viel zu tun.«
    »Ja«, sagte Gustav, der allmählich wieder zu Atem kam. »Es gibt viel zu tun.«
    Ich trat auf Gustav zu und sagte: »Tut uns leid, daß wir Sie bei der Arbeit stören. Wir waren gerade bei einem Empfang, aber jetzt sind wir auf dem Weg nach Hause. Zu einem großartigen Abendessen.«
    »Ach«, sagte der Hoteldiener und schaute uns an. »Ach ja. Das ist wirklich nett. Ich freue mich sehr, euch alle so beisammen zu sehen.« Dann fragte er Boris: »Wie geht es dir, Boris? Und wie geht es deiner Mutter?«
    »Mutter ist ein bißchen müde«, antwortete Boris. »Wir freuen uns alle schon so auf das Abendessen. Hinterher werden wir Warlord spielen.«
    »Das hört sich ja fabelhaft an. Ihr

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