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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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konnte ja wohl auch kaum erwarten, ein solches Chaos stiften zu können, ohne einen Preis dafür zahlen zu müssen. Außerdem hatte sie sich auch mit dem Kochen kaum selber übertroffen. So hatte sie zum Beispiel nicht daran gedacht, Sardinen auf kleinen dreieckigen Toastscheiben oder Spießchen mit Käse und Wurst bereitzustellen. Zudem hatte sie kein Omelette gemacht und auch keine mit Käse gefüllten Kartoffeln oder Fischpastetchen. Außerdem gab es keine gefüllten Paprikaschoten. Oder diese kleinen, mit Anchovispaste bestrichenen Brotwürfel oder der Länge nach aufgeschnittene Gurkenstückchen, nicht einmal halbierte hartgekochte Eier mit diesen Zickzackrändern. Und für hinterher hatte sie keine Pflaumenschnitten, keine Buttercremetörtchen, nicht einmal eine Erdbeerbiskuitrolle gemacht.
    Allmählich wurde mir bewußt, daß Sophie eine unangemessen lange Zeit den Würfel geschüttelt hatte. Tatsächlich hatte das Schütteln, seit sie mit dem Spiel begonnen hatte, eine ganz andere Qualität angenommen. Sie schien den Würfel jetzt langsam und kraftlos hin und her zu bewegen, als geschehe es im Takt einer Melodie, die ihr gerade durch den Kopf ging. Recht besorgt ließ ich die Zeitung sinken.
    Sophie saß auf dem Boden und stützte sich auf einen steif durchgedrückten Arm, so daß ihr das lange Haar über die Schulter nach vorn fiel und das ganze Gesicht verdeckte. Sie schien mittlerweile vollkommen in das Spiel vertieft zu sein, und sie hatte ihr Gewicht auf merkwürdige Weise nach vorn verlagert, so daß sie sich genau über dem Brett befand. Ihr ganzer Körper wiegte sich sanft hin und her. Boris beobachtete sie schmollend und fuhr mit den Händen über den Riß in seinem Buch.
    Sophie schüttelte den Würfel wieder und immer wieder, dreißig, vierzig Sekunden lang, bevor sie ihn endlich vor sich ausrollen ließ. Verträumt schaute sie ihn an, bewegte einige Spielsteine auf dem Brett und begann dann erneut den Würfel zu schütteln. Ich spürte, daß Gefahr in der Luft lag, und entschied, es sei an der Zeit, die Sache selber in die Hand zu nehmen. Ich warf die Zeitung zur Seite, schlug in die Hände und stand auf.
    »Ich muß jetzt ins Hotel zurück«, kündigte ich an. »Und ich würde euch beiden wirklich sehr raten, ins Bett zu gehen. Wir haben alle einen langen Tag gehabt.«
    Ich sah ganz kurz Sophies überraschten Gesichtsausdruck, als ich in den Flur ging. Im nächsten Moment war sie schon hinter mir.
    »Du gehst schon? Aber hast du denn auch genug gegessen?«
    »Tut mir leid, ich weiß, du hast dir soviel Mühe mit dem Essen gemacht. Aber es ist jetzt doch schon arg spät. Ich habe morgen einen sehr anstrengenden Vormittag.«
    Sophie seufzte und sah sehr niedergeschlagen aus. »Tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Der Abend war kein großer Erfolg. Tut mir leid.«
    »Mach dir darüber keine Gedanken. Das ist doch nicht deine Schuld. Wir waren einfach alle ziemlich müde. So, jetzt muß ich aber wirklich gehen.«
    Widerstrebend ließ Sophie mich hinaus und sagte, sie werde mich am nächsten Morgen anrufen.

    Mehrere Minuten lang schlenderte ich durch die menschenleeren Straßen und versuchte, mich an den Weg ins Hotel zurück zu erinnern. Schließlich gelangte ich auf eine Straße, die ich wiedererkannte, und ich begann die Stille der Nacht zu genießen und auch die Gelegenheit, nur mit meinen Gedanken und dem Geräusch meiner Schritte allein zu sein. Doch bald schon empfand ich ein gewisses Bedauern darüber, wie der Abend geendet hatte. Aber Tatsache war, daß es Sophie unter anderem geschafft hatte, meinen sorgfältig durchdachten Zeitplan in ein einziges Chaos zu verwandeln. Und hier war ich nun, am Ende meines zweiten Tages in der Stadt, und hatte nur die oberflächlichsten Einblicke in die Krise gewinnen können, die zu begutachten ich hergekommen war. Mir fiel ein, daß man mich sogar daran gehindert hatte, meine Verabredung für den heutigen Vormittag mit der Gräfin und dem Bürgermeister einzuhalten, wo ich die Gelegenheit gehabt hätte, endlich selbst etwas von Brodskys Musik zu hören. Natürlich hatte ich immer noch ausreichend Zeit, das alles wiedergutzumachen; eine ganze Reihe von Treffen, die noch vor mir lagen – so etwa mit der Bürger-Selbsthilfe -, würden mir ganz gewiß ein weit umfassenderes Bild der Lage hier verschaffen. Dennoch ließ es sich kaum leugnen, daß ich reichlich unter Druck geraten war, und Sophie konnte sich wohl nicht gut darüber beklagen, daß ich nicht

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