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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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in der Lage gewesen war, den Tag in der denkbar entspanntesten Stimmung zu beschließen.
    Ich schlenderte gerade über eine Steinbrücke, als ich über all das nachdachte. Als ich stehenblieb, um in das Wasser und auf eine Reihe von Lampen entlang des Kanals hinunterzuschauen, kam mir der Gedanke, daß ich ja immer noch die Einladung von Miss Collins annehmen und sie besuchen konnte. Sie hatte mir recht deutlich zu verstehen gegeben, daß sie auf einzigartige Weise in die Lage versetzt sei, Beistand zu leisten, und nun, da meine Zeit hier immer knapper wurde, sah ich ein, daß ein gutes Gespräch mit ihr die Dinge wunderbar voranbringen und mir praktisch all die Informationen liefern würde, die ich inzwischen selbst gesammelt hätte, wäre es Sophie nicht gelungen, ihren Willen durchzusetzen. Ich dachte wieder an den Salon im Haus von Miss Collins, an die Samtvorhänge und die zerschlissenen Möbel, und plötzlich verspürte ich den heftigen Wunsch, genau in diesem Augenblick dort zu sein. Dann ging ich weiter, über die Brücke und in die dunkle Straße hinein, und beschloß, sie am nächsten Vormittag bei der erstbesten Gelegenheit anzurufen.

3

EINUNDZWANZIG
    Ich erwachte und sah helles Sonnenlicht durch die Lamellen der vertikalen Jalousie dringen, und schon ergriff mich das panikartige Gefühl, ich hätte zuviel vom Morgen verstreichen lassen. Doch dann fiel mir wieder ein, daß ich am Abend zuvor beschlossen hatte, Miss Collins anzurufen, und so fühlte ich mich schon bedeutend ruhiger, als ich aufstand.
    Das Zimmer war kleiner und merklich stickiger als mein voriges, und wieder ärgerte ich mich über Hoffman und darüber, daß er mich zu dem Umzug genötigt hatte. Aber diese ganze Angelegenheit mit den Zimmern schien nicht mehr so wichtig zu sein wie noch am vergangenen Vormittag, und während ich mich wusch und anzog, fiel es mir nicht schwer, mich auf das wichtige Treffen mit Miss Collins zu konzentrieren, von dem jetzt so viel abhing. Als ich dann mein Zimmer verließ, machte ich mir überhaupt keine Sorgen mehr darüber, daß ich verschlafen hatte – das lange Schlafen würde sich, so wußte ich, langfristig gesehen als von unschätzbarem Wert erweisen -, und ich freute mich schon auf ein gutes Frühstück, bei dem ich meine Gedanken ordnen und die Punkte festlegen würde, die ich Miss Collins gegenüber ansprechen wollte.
    Deshalb war ich überrascht, als ich unten beim Frühstücksraum ankam und mich das Geräusch eines Staubsaugers empfing. Die Tür zu dem Raum war geschlossen, und als ich sie einen Spaltbreit öffnete, sah ich zwei Frauen in Overalls, die den Teppichboden saugten, Tische und Stühle waren an die Wand gerückt. Die Aussicht, ein wichtiges Treffen ohne Frühstück durchstehen zu müssen, war nicht gerade angenehm, und ich ging mehr als nur leicht verärgert in die Hotelhalle zurück. Ich ging an einer Gruppe amerikanischer Touristen vorbei zur Rezeption. Dort saß ein Angestellter und las in einer Zeitschrift, aber als er mich sah, stand er auf.
    »Guten Morgen, Mr. Ryder.«
    »Guten Morgen. Es enttäuscht mich doch etwas, daß kein Frühstück serviert wird.«
    Einen Augenblick lang wirkte der Mann am Empfang etwas verwirrt. Dann sagte er: »Normalerweise könnte Ihnen natürlich selbst um diese Zeit jemand ein Frühstück servieren. Aber da wir nun einmal heute diesen besonderen Tag haben, ist verständlicherweise ein Großteil unseres Personals im Konzertsaal, um dort bei den Vorbereitungen zu helfen. Herr Hoffman selbst ist schon ganz früh dorthin aufgebrochen. Es tut mir wirklich leid, aber hier läuft heute alles nur mit halber Kraft. Leider mußte auch das Atrium bis Mittag geschlossen werden. Natürlich, wenn es sich nur um Kaffee und ein paar Brötchen handelt...«
    »Ist schon gut«, sagte ich kühl. »Ich habe einfach keine Zeit, hier zu warten, bis das in die Wege geleitet wird. Dann muß ich heute morgen eben ohne Frühstück auskommen.«
    Der Mann am Empfang fing schon wieder an, sich zu entschuldigen, doch mit einer Handbewegung schnitt ich ihm das Wort ab und ging hinaus.

    Ich trat aus dem Hotel ins Sonnenlicht. Erst als ich schon ein ganzes Stück Weges auf der verkehrsreichen Straße gegangen war, wurde mir klar, daß ich nicht genau wußte, wo die Wohnung von Miss Collins lag. Ich hatte nicht richtig achtgegeben an dem Abend, als Stephan uns dorthin gefahren hatte, und ganz abgesehen davon waren jetzt so viele Fußgänger und Autos unterwegs, daß ich nichts

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