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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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mich aussprechen. Das Maß an Abgeschiedenheit ist unzureichend. Manche Leute mögen es als ausreichend empfinden, aber ich nicht… Nun ja, ich will es Ihnen ganz offen sagen, Mr. Hoffman. So ist es seit meiner Kindheit gewesen. Ich habe nie üben können, wenn ich nicht vollständige, unbedingte Abgeschiedenheit hatte.«
    »Ach, tatsächlich, Mr. Ryder?« Hoffman nickte ernst. »Ich verstehe, ich verstehe.«
    »Also, das hoffe ich. Die Bedingungen dort drinnen« – ich schüttelte den Kopf – »sind in keinster Weise ausreichend. Es ist nun einmal so – ich muß, ich muß einfach zufriedenstellende Übungsmöglichkeiten haben...«
    »Ja, ja, natürlich.« Er nickte verständnisvoll. »Ich glaube, Mr. Ryder, es gibt da eine Lösung. Der Übungsraum in der Dependance bietet Ihnen unbedingte Abgeschiedenheit. Das Klavier ist ausgezeichnet. Und was die Abgeschiedenheit angeht, nun, für die kann ich garantieren, Mr. Ryder. Es ist dort sehr, sehr abgeschieden.«
    »Sehr schön. Hört sich an, als sei es genau das, was ich brauche. Die Dependance, sagen Sie.«
    »Ja, Mr. Ryder. Ich werde Sie persönlich dorthin begleiten, sobald Sie Ihr Treffen mit der Bürger-Selbsthilfe hinter sich haben...«
    »Also wirklich, Mr. Hoffman!« Ich schrie plötzlich und widerstand nur knapp dem Drang, ihn beim Revers zu packen.
    »Hören Sie mir doch zu! Diese Bürgergruppe ist mir vollkommen egal! Es ist mir egal, wie lange die Leute schon warten! Tatsache ist, wenn ich jetzt nicht üben kann, gehe ich packen und verlasse sofort die Stadt, noch in dieser Stunde! Ganz recht, Mr. Hoffman. Dann gibt es keine Rede, kein Konzert, nichts! Verstehen Sie, Mr. Hoffman? Verstehen Sie?«
    Hoffman starrte mich an, die Farbe wich aus seinem Gesicht. »Ja, ja«, murmelte er. »Ja, natürlich, Mr. Ryder.«
    »Also, dann ersuche ich Sie« – es gelang mir, meine Stimme ein wenig unter Kontrolle zu bringen -, »ich bitte Sie. Seien Sie jetzt bitte so freundlich und bringen Sie mich unverzüglich in diese Dependance.«
    »Schön, Mr. Ryder.« Er lachte merkwürdig. »Ich verstehe vollkommen. Schließlich sind das ja nur ganz einfache Menschen. Warum sollte sich schon jemand wie Sie...« Dann faßte er sich wieder und sagte bestimmt: »Hier entlang, Mr. Ryder, wenn Sie mir bitte folgen wollen.«

VIERUNDZWANZIG
    Wir gingen noch ein Stück durch den Korridor, dann durchquerten wir eine riesige Waschküche, in der mehrere Maschinen vor sich hin brummten. Dann führte mich Hoffman durch einen schmalen Ausgang, und ich trat hinaus und befand mich vor den Doppeltüren des Salons.
    »Wir nehmen eine Abkürzung durch den Salon«, sagte Hoffman.
    Kaum hatten wir den Raum betreten, da verstand ich schon viel besser, weshalb Hoffman sich so gesträubt hatte, den Salon für mich räumen zu lassen. Der Raum war zum Bersten voll mit Menschen, die lachten und sich unterhielten, einige waren sehr auffallend gekleidet, und mein erster Gedanke war, daß wir in eine private Gesellschaft hineingeplatzt waren. Doch während wir uns langsam unseren Weg durch die Menge bahnten, sah ich, daß es sich um mehrere deutlich voneinander getrennte Gruppen handelte. Einige ausgelassene Einheimische nahmen einen Bereich des Raumes ein. Eine andere Gruppe schien aus wohlhabenden jungen Amerikanern zu bestehen – die meisten von ihnen waren gerade dabei, unisono eine Art College-Hymne zu singen. In einem anderen Bereich des Raumes hatten ein paar Japaner Tische zusammengerückt, auch sie vergnügten sich lautstark. Obwohl diese Gruppen deutlich voneinander getrennt waren, schien es merkwürdigerweise regen Austausch zwischen ihnen zu geben. Überall um mich herum wanderten Leute von Tisch zu Tisch, schlugen einander auf den Rücken, machten Fotos voneinander und reichten Platten mit Sandwiches hin und her. Ein gequält aussehender Kellner in weißer Livree ging mit zwei Kaffeekannen zwischen ihnen herum. Ich wollte nach dem Klavier Ausschau halten, war aber zu sehr damit beschäftigt, mich an den Leuten vorbeizudrängen und mit Hoffman Schritt zu halten. Schließlich erreichte ich die andere Seite des Salons, wo Hoffman mir wiederum eine Tür aufhielt.
    Ich trat auf einen Gang hinaus, dessen anderes Ende nach außen offen war. Im nächsten Moment betrat ich einen kleinen, sonnenbeschienenen Parkplatz, den ich sofort als den Platz wiedererkannte, auf den Hoffman mich an dem Abend gebracht hatte, als wir zu Brodskys Bankett gefahren waren. Hoffman führte mich zu einem großen

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