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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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verursacht wird – beunruhigend nahe bei mir. Ich wirbelte auf meinem Hocker herum. Erst da bemerkte ich, daß die ganze obere Hälfte der Tür fehlte, obwohl die Tür selbst immer noch geschlossen war, so daß das Ganze mehr oder weniger wie eine Stalltür aussah. Das kaputte Schloß hatte mich so sehr in Anspruch genommen, daß mir diese offenkundige Tatsache völlig entgangen war. Ich sah jetzt, daß die Tür mit einer rauhen Kante etwa in Taillenhöhe abschloß. Ob die obere Hälfte mutwillig herausgerissen worden war oder ob eine Art Renovierung vorgenommen wurde, vermochte ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Wie dem auch sei, jedenfalls konnte ich, wenn ich den Hals ein wenig reckte, von meinem Hocker aus die weißen Kacheln und die Waschbecken draußen deutlich sehen.
    Ich konnte kaum glauben, daß Hoffman die Unverschämtheit besessen hatte, mir solche Bedingungen zuzumuten. Zwar stimmte es, daß bisher kein anderer den Raum betreten hatte, doch es war durchaus denkbar, daß eine Gruppe von sechs oder sieben Hotelangestellten jeden Moment hereinkommen und anfangen könnte, die Waschbecken zu benutzen. Die Situation erschien mir untragbar, und ich wollte gerade wutentbrannt die Kabine verlassen, als mein Blick auf einen Lumpen fiel, der dicht beim oberen Scharnier an einem Nagel im Türpfosten hing.
    Einen Moment lang starrte ich darauf, und dann entdeckte ich einen weiteren Nagel am anderen Türpfosten in genau derselben Höhe. Sofort erriet ich, welchem Zweck der Lumpen und die Nägel dienten und stand auf, um sie mir näher anzusehen. Der Lumpen erwies sich als ein altes Badetuch. Als ich es auseinanderfaltete und an den beiden Nägeln befestigte, stellte sich heraus, daß es einen ausgezeichneten Vorhang über der fehlenden Hälfte der Tür abgab.
    Als ich mich wieder setzte, fühlte ich mich bedeutend besser und wollte mich neuerlich auf die Eröffnungstakte konzentrieren. Doch dann, als ich gerade mit dem Spielen beginnen wollte, ließ mich das leise Knirschen noch einmal innehalten. Dann hörte ich es noch einmal, und mir wurde klar, daß es aus der Kabine zu meiner Linken kam. Jetzt dämmerte mir nicht nur, daß die ganze Zeit jemand in der Nachbarkabine gewesen war, sondern auch, daß es keine Schallisolierung zwischen den Kabinen gab und daß ich die Anwesenheit der Person dort bisher nur deshalb nicht bemerkt hatte, weil sich diese Person – aus welchem Grund auch immer – völlig ruhig verhalten hatte.
    Wütend stand ich noch einmal auf und zog an der Tür, wobei sich das Schloß wieder löste und das Badetuch auf den Boden fiel. Als ich mich hinauszwängte, räusperte sich geräuschvoll der Mann in der Kabine nebenan, vielleicht weil er jetzt keinen Grund mehr sah, sich zurückzuhalten. Gründlich angewidert verließ ich schnell den Raum.
    Ich war ein wenig überrascht, Hoffman zu sehen, der im Korridor auf mich wartete, doch dann fiel mir wieder ein, daß er das ja tatsächlich versprochen hatte. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand, doch sobald ich herauskam, richtete er sich auf und stand aufmerksam und erwartungsvoll da.
    »Nun, Mr. Ryder«, sagte er lächelnd, »wenn Sie mir bitte folgen würden. Die Damen und Herren sind schon sehr begierig darauf, Sie kennenzulernen.«
    Ich schaute ihn kühl an. »Was für Damen und Herren, Mr. Hoffman?«
    »Na ja, die Mitglieder des Komitees, Mr. Ryder. Die Leute von der Bürger-Selbsthilfe...«
    »Schauen Sie, Mr. Hoffman...« Ich war sehr wütend, doch der heikle Charakter meines Anliegens ließ mich innehalten. Hoffman, der endlich merkte, daß mich etwas beunruhigte, blieb mitten auf dem Korridor stehen und sah mich besorgt an.
    »Schauen Sie, Mr. Hoffman. Es tut mir wirklich sehr leid mit diesem Treffen. Aber es ist unbedingt erforderlich, daß ich zum Üben komme. Ich kann nichts tun, bis ich nicht habe üben können.«
    Hoffman schien ehrlich verwirrt zu sein. »Entschuldigung, Mr. Ryder«, sagte er, wobei er die Stimme diskret gesenkt hatte. »Aber haben Sie nicht gerade eben geübt?«
    »Nein, habe ich nicht. Ich, äh... ich konnte nicht.«
    »Sie konnten nicht? Ist irgend etwas nicht in Ordnung, Mr. Ryder? Ich meine, fühlen Sie sich vielleicht nicht wohl?«
    »Mir geht es ausgezeichnet. Schauen Sie« – ich seufzte -, »also, wenn es Sie denn interessiert, ich konnte dort drinnen nicht üben, weil... Nun ja, um ehrlich zu sein, Mr. Hoffman, die Bedingungen dort bieten nicht das notwendige Maß an Abgeschiedenheit. Nein, bitte, lassen Sie

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