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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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schwarzen Wagen, und wenige Augenblicke später bewegten wir uns langsam durch den mittäglichen Stau.
    »Ach, der Verkehr in dieser Stadt«, seufzte Hoffman. »Soll ich die Klimaanlage einschalten, Mr. Ryder? Sind Sie sicher? Du meine Güte, schauen Sie sich den Verkehr an. Gott sei Dank müssen wir das nicht allzulange ertragen. Wir fahren Richtung Süden.«
    Und tatsächlich bog Hoffman an der nächsten Ampel auf eine Straße, auf der die Autos sehr viel zügiger vorankamen, und kurz darauf fuhren wir mit hoher Geschwindigkeit durch offenes Gelände.
    »Ach ja, das ist das Herrliche an unserer Stadt«, sagte Hoffman. »Man braucht nie weit zu fahren, um eine wirklich schöne Umgebung zu erreichen. Sehen Sie, die Luft ist schon viel besser geworden.«
    Ich machte irgendeine Bemerkung, um das zu bestätigen, und schwieg dann, denn ich wollte mich jetzt keinesfalls in eine Unterhaltung verwickeln lassen. Zum einen hatte ich allmählich Zweifel hinsichtlich meiner Entscheidung von vorhin, beim Konzert Asbestos and Fibre zu spielen. Je mehr ich darüber nachdachte, um so deutlicher schien ich mich daran zu erinnern, daß meine Mutter einmal ihr Befremden über diese Komposition zum Ausdruck gebracht hatte. Einen Augenblick lang zog ich die Möglichkeit in Erwägung, mich für etwas vollkommen anderes zu entscheiden, etwa für Kazans Wind Tunnels , doch dann fiel mir ein, daß die Aufführungsdauer des Stückes zweieinviertel Stunden betrug. Es konnte keinen Zweifel geben, daß das kurze, intensive Asbestos and Fibre die naheliegende Wahl war. Kein anderes Stück würde es ermöglichen, in so kurzer Zeit eine derart breite Palette an Stimmungen zu demonstrieren. Und es handelte sich zumindest auf den ersten Blick um ein Stück, daß meine Mutter zweifelsohne durchaus schätzen würde. Und doch war da noch etwas – zugegeben, nicht mehr als der Schatten einer Erinnerung -, das mich daran hinderte, mit meiner Wahl ganz und gar zufrieden zu sein.
    Abgesehen von einem Lastwagen weit vor uns schienen wir allein auf der Straße zu sein. Ich sah das Ackerland zu beiden Seiten vorüberziehen und versuchte noch einmal, mir diesen nur schwer faßbaren Erinnerungsfetzen ins Gedächtnis zu rufen.
    »Wir haben es nicht mehr weit, Mr. Ryder«, sagte Hoffman neben mir. »Ich bin sicher, der Probenraum in der Dependance wird voll und ganz nach Ihrem Geschmack sein. Es ist sehr ruhig dort, ein idealer Ort, um ein oder zwei Stunden zu üben. Sehr bald schon werden Sie sich ganz in Ihre Musik versenken können. Wie ich Sie beneide, Mr. Ryder! Bald werden Sie Ihre musikalischen Einfälle durchstöbern, so als würden Sie durch eine prächtige Galerie schlendern, in der Sie wie durch ein Wunder aufgefordert wurden, in einem Einkaufskorb nach Hause zu tragen, was immer Ihnen gefällt. Verzeihen Sie« – er lachte auf -, »aber das ist immer schon eine Lieblingsphantasie von mir gewesen. Meine Frau und ich, wie wir gemeinsam durch eine wunderbare Galerie voll herrlicher Kunstgegenstände schlendern. Von uns abgesehen ist das Gebäude menschenleer. Nicht einmal ein Wärter ist da. Und tatsächlich, es hängt ein Einkaufskorb über meinem Arm, man hat uns gesagt, wir können uns nehmen, was wir wollen. Natürlich müssen ein paar Regeln eingehalten werden. Wir dürfen nicht mehr nehmen, als in den Korb paßt. Und selbstverständlich ist es uns nicht gestattet, später etwas davon zu verkaufen – nicht, daß wir auch nur im entferntesten daran dächten, eine solch grandiose Gelegenheit derart zu mißbrauchen. Da sind wir nun also, meine Frau und ich, und gemeinsam schlendern wir durch diese himmlische Halle. Diese Galerie könnte Teil irgendeines riesigen herrschaftlichen Anwesens sein, vielleicht mit Blick auf ausgedehnte Flächen Land. Vom Balkon aus hatte man eine atemberaubende Aussicht. Und große steinerne Löwen gäbe es da in jeder Ecke. Meine Frau und ich würden dastehen, die Landschaft betrachten und darüber debattieren, welche Gegenstände wir denn nun mitnehmen. In dieser Phantasie ist es aus irgendeinem Grund immer so, daß gerade ein Sturm losbrechen will. Der Himmel ist schiefergrau, und doch vermitteln all die Schatten den Eindruck, als schiene die hellste Sommersonne auf uns herab. Kletterpflanzen, Efeu, überall auf der Terrasse. Und nur meine Frau und ich, unser Korb ist immer noch leer, und wir debattierten darüber, was wir uns aussuchen sollen.« Plötzlich lachte er. »Verzeihen Sie, Mr. Ryder, ich lasse mich gehen.

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