Die Ungetroesteten
mitgebracht? Gar nichts?« Die Witwe schaute suchend in die Menge.
»Wirklich, bitte, ich hatte keineswegs die Absicht, mich hier aufzudrängen. Bitte, fahren Sie nur fort mit... mit dem, was Sie gerade getan haben.«
»Aber Sie müssen etwas nehmen. Also bitte, hat denn nicht einmal jemand eine Thermoskanne mit Kaffee?«
Hinter mir berieten sich viele Stimmen miteinander, und als ich über die Schulter zurückschaute, sah ich, daß die Leute ihre Taschen durchsuchten. Der untersetzte Mann winkte jemandem hinten in der Menge zu, woraufhin ihm etwas gereicht wurde. Während er es noch prüfte, sah ich, daß es sich um ein in Zellophan eingewickeltes Stück Kuchen handelte.
»Haben wir denn nichts Besseres anzubieten?« rief der untersetzte Mann. »Was soll das denn?«
Inzwischen war hinter mir ein regelrechter Tumult ausgebrochen. Eine ärgerliche Stimme ließ sich besonders deutlich vernehmen: »Also, Otto, wo ist denn dieser Käse?« Schließlich wurde dem untersetzten Mann eine Rolle Pfefferminzbonbons gereicht. Der Mann warf der Versammlung einen ärgerlichen Blick zu, dann drehte er sich um und hielt seiner Schwester den Kuchen und die Bonbons hin.
»Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen«, sagte ich, »aber ich bin doch nur gekommen, um...«
»Also, Mr. Ryder«, sagte die Witwe mit erregter Stimme, »es scheint, daß dies alles ist, was wir Ihnen anbieten können. Ich weiß nicht, was Hermann dazu gesagt hätte, daß man ihn so blamiert, noch dazu ausgerechnet an solch einem Tag. Aber so ist es nun einmal, und mir bleibt nur, mich zu entschuldigen. Sehen Sie, das ist alles, das ist alles, was wir Ihnen anzubieten haben, die ganze Gastfreundschaft, die wir Ihnen anzubieten haben.«
Die Stimmen hinter mir, die leiser geworden waren, als die Witwe angefangen hatte zu sprechen, erhoben sich jetzt in lautem Streit. Ich hörte jemanden schreien: »Das stimmt doch gar nicht! Etwas Derartiges habe ich nie gesagt!«
Dann trat der weißhaarige Herr vor, der die Witwe am Grab gestützt hatte, und verbeugte sich.
»Bitte, Mr. Ryder«, sagte er, »ich möchte mich für die klägliche Art und Weise entschuldigen, in der wir Ihnen dieses große Kompliment vergelten. Sie treffen uns, wie Sie sehen, erbärmlich unvorbereitet an. Ich möchte Ihnen dennoch versichern, daß jeder einzelne hier von tiefer Dankbarkeit erfüllt ist. Bitte, nehmen Sie doch diese Kleinigkeiten, so unzureichend sie auch sein mögen.«
»Bitte, Mr. Ryder, setzen Sie sich doch hierher.« Mit einem Taschentuch wischte die Witwe über die Oberfläche einer marmornen Grabplatte direkt neben dem Grab ihres Mannes. »Bitte.«
Da sah ich ein, daß ich nun nicht mehr zurückkonnte. Entschuldigungen murmelnd ging ich zu dem Grab, das die Witwe für mich gesäubert hatte, und sagte: »Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.«
Kaum hatte ich mich auf die helle Marmorplatte gesetzt, da schienen sämtliche Trauergäste vorzutreten und sich um mich zu versammeln.
»Bitte«, hörte ich die Witwe wieder sagen. Sie stand direkt über mir und riß an dem Zellophan, in das der Kuchen eingepackt war. Als sie es endlich geöffnet hatte, reichte sie mir den Kuchen mitsamt der Verpackung. Ich bedankte mich und fing an zu essen. Es war eine Art Obstkuchen, und ich mußte mir große Mühe geben, daß er mir nicht in den Händen zerfiel. Es war außerdem ein recht großzügiges Stück, das ich nicht in einigen wenigen Bissen aufessen konnte. Während ich weiter kaute, hatte ich den Eindruck, daß sich die Trauergäste immer näher um mich drängten, doch als ich zu ihnen aufschaute, sah ich, daß sie alle ganz still dastanden und die Augen respektvoll gesenkt hatten. Eine ganze Weile herrschte Schweigen, und dann räusperte sich der untersetzte Mann und sagte:
»Es ist heute ein sehr schöner Tag gewesen.«
»Ja, sehr schön«, erwiderte ich, obwohl ich noch den Mund voll hatte. »Wirklich sehr schön.«
Dann trat der ältere weißhaarige Herr einen Schritt vor und sagte: »Es gibt ein paar herrliche Spazierwege hier in der Gegend, Mr. Ryder. Nicht weit weg vom Stadtzentrum, wirklich prachtvolle ländliche Spazierwege. Wenn Sie einmal eine Stunde erübrigen können, würde ich mich glücklich schätzen, Sie auf einem der Wege zu führen.«
»Vielleicht noch ein Pfefferminz, Mr. Ryder?«
Die Witwe hielt mir die geöffnete Rolle dicht vor das Gesicht. Ich bedankte mich und steckte mir ein Pfefferminz in den Mund, obwohl ich wußte, daß es zu dem Kuchen
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