Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
Vom Netzwerk:
ernstlich unterminiert worden. Aber natürlich ist da noch der heutige Abend. Am Ende wird alles von dem abhängen, was heute abend passiert. Von dem, was Sie sagen werden. Und von dem, was Mr. Brodsky uns zeigen wird. Und wie Sie schon sagten, ist niemand geschickter als Sie, wenn es darum geht, Boden wiedergutzumachen.« Einen Moment lang schien er still für sich über etwas nachzugrübeln. Dann schüttelte er bedächtig den Kopf. »Aber jetzt ist es am besten für Sie, Mr. Ryder, wenn Sie sich in den Konzertsaal begeben. Heute abend muß alles genau nach Plan gehen.«
    »Ja, ja, Sie haben ganz recht«, erwiderte ich. »Ganz bestimmt wartet mein Wagen schon, um mich dorthin zu bringen. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Offenheit, Mr. Pedersen.«

SECHSUNDZWANZIG
    An hohen Hecken und Sträuchern vorbei führten die Stufen steil hinab. Kurz darauf fand ich mich am Straßenrand wieder und sah zu, wie die Sonne über dem Feld auf der anderen Straßenseite unterging. Über die Treppe war ich zu einer Stelle gelangt, an der die Straße eine scharfe Kurve machte, doch als ich der Biegung ein wenig folgte, wurde die Aussicht großzügiger. Nun konnte ich bis zu dem Hügel schauen, den ich vor kurzem erst hinaufgestiegen war – die Umrisse der kleinen Hütte zeichneten sich vor dem Himmel ab -, und da wartete auch Hoffmans Wagen auf dem Parkstreifen, genau an der Stelle, an der er mich vorhin hatte aussteigen lassen.
    Ich ging auf den Wagen zu, meine Gedanken waren noch ganz bei dem Gespräch, das ich eben mit Pedersen geführt hatte. Ich dachte daran, wie ich ihn in dem Kino kennengelernt hatte, an die Hochachtung für mich in seinen Worten und Gesten. Nun war es trotz seiner guten Manieren offensichtlich, daß er tief enttäuscht von mir war. Diese Vorstellung empfand ich als merkwürdig beunruhigend, und während ich weiter am Straßenrand entlangging und in den Sonnenuntergang schaute, wurde ich allmählich immer wütender, weil ich in der Sache mit dem Sattler-Haus nicht vorsichtiger gewesen war. Zwar stimmte es – wie ich es auch Pedersen gegenüber erklärt hatte -, daß meine Entscheidung mir zu dem Zeitpunkt die klügste gewesen zu sein schien. Trotzdem konnte ich mich des nagenden Gefühls nicht erwehren, daß ich in der knappen Zeit, bei dem enormen Druck, der auf mir lastete, damals irgendwie besser informiert hätte sein müssen. Und jetzt, noch in diesem späten Stadium, als die abendliche Veranstaltung praktisch schon in greifbarer Nähe war, gab es immer noch gewisse Aspekte an den Problemen dieser Stadt, die alles andere als eindeutig waren. Ich sah jetzt ein, was für ein Fehler es gewesen war, die Sitzung der Bürger-Selbsthilfe vorhin verpaßt zu haben – und das alles für eine Übungsstunde, die sich als reichlich überflüssig erwiesen hatte.
    Als ich bei Hoffmans Wagen ankam, fühlte ich mich erschöpft und entmutigt. Hoffman saß hinter dem Steuer, schrieb eifrig etwas in ein Notizbuch und bemerkte mich erst, als ich die Tür auf der Beifahrerseite öffnete.
    »Ach, Mr. Ryder«, sagte er und legte sein Notizbuch schnell zur Seite. »Ihre Übungsstunde ist erfolgreich verlaufen, hoffe ich?«
    »O ja.«
    »Und die Bedingungen dort?« Hastig startete er den Wagen. »War alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
    »Ganz ausgezeichnet, Mr. Hoffman, vielen Dank. Aber jetzt muß ich so schnell wie möglich in den Konzertsaal. Man kann ja nie wissen, welche Änderungen noch nötig sind.«
    »Natürlich. Übrigens muß ich jetzt auch schnell zum Konzertsaal.« Er schaute auf die Uhr. »Ich muß nachsehen, wie es mit den Essensvorbereitungen steht. Als ich vor einer Stunde dort gewesen bin, lief alles glücklicherweise ganz reibungslos. Aber natürlich kann immer schnell ein Chaos ausbrechen.«
    Hoffman lenkte den Wagen zurück auf die Straße, und einige Minuten lang fuhren wir, ohne ein Wort zu reden. Obwohl die Straße etwas stärker befahren war als auf der Hinfahrt, war sie immer noch alles andere als überfüllt, und Hoffman gewann schnell an Geschwindigkeit. Ich schaute auf die Felder hinaus und versuchte, mich zu entspannen, aber ich mußte feststellen, daß ich immer wieder an den bevorstehenden Abend denken mußte. Dann hörte ich Hoffman sagen:
    »Ich hoffe, Mr. Ryder, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich es noch einmal zur Sprache bringe. Diese eine kleine Angelegenheit. Das haben Sie sicher vergessen.« Er lachte kurz auf und schüttelte den Kopf.
    »Welche Angelegenheit meinen Sie denn, Mr.

Weitere Kostenlose Bücher