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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Gedanke, daß es jetzt Morgen war und ich die ganzen Ereignisse des Abends verpaßt hatte. Doch als ich mich auf dem Sofa aufrichtete, sah ich, daß mit Ausnahme des leuchtenden Feuers im Gasofen alles um mich herum noch dunkel war.
    Ich ging an das Fenster und zog den Vorhang zurück. Mein Blick ging auf einen schmalen Hinterhof, der von mehreren Mülltonnen fast ausgefüllt war. Eine Lampe, die man irgendwo hatte brennen lassen, warf ein schwaches Licht auf den Hof, doch ich bemerkte auch, daß der Himmel nicht mehr ganz dunkel war, und wieder durchfuhr mich die Angst, daß schon der Morgen dämmerte. Ich ließ den Vorhang fallen und machte mich auf den Weg nach draußen, wobei ich bitterlich bereute, daß ich das Angebot des Cafébesitzers, mich ein wenig auszuruhen, überhaupt angenommen hatte. Ich trat in den kleinen Verbindungsraum, in dem ich vorher an den Wänden aufgestapelte Ware gesehen hatte. Der Raum lag jetzt in tiefster Dunkelheit, und während ich nach einer Tür tastete, stieß ich zweimal gegen harte Gegenstände. Schließlich gelangte ich in den Hauptraum des Cafés, wo wir vor nicht allzulanger Zeit noch so frohgemut getanzt und gesungen hatten. Ein schwaches Licht drang durch die Fenster herein, die auf den Platz gingen, und ich erkannte die unregelmäßigen Umrisse von Stühlen, die auf die Tische gestellt worden waren. Ich ging an den Tischen vorbei, kam zum Haupteingang und schaute durch die Glasscheiben hinaus.
    Draußen regte sich nichts. Die einsame Straßenlaterne mitten auf dem leeren Platz war die Quelle des Lichtscheins, der in das Café fiel, doch wieder bemerkte ich, daß am Himmel die ersten Anzeichen der Morgendämmerung zu sehen waren. Während ich weiter auf den Platz hinausschaute, wurde ich allmählich immer wütender. Ich begriff, daß ich mich durch zu viele Dinge von den wirklich dringenden Angelegenheiten hatte ablenken lassen – und das in einem Maße, daß ich jetzt sogar einen beträchtlichen Teil dieses wichtigsten Abends meines Lebens verschlafen hatte. Dann mischte sich ein Gefühl der Verzweiflung in meine Wut, und einen Augenblick lang fühlte ich mich den Tränen nahe.
    Doch während ich noch in den Nachthimmel schaute, fragte ich mich allmählich, ob ich mir die Vorboten der Morgendämmerung nicht nur eingebildet hatte. Nun, da ich den Himmel eingehender betrachtete, sah ich in der Tat, daß er immer noch sehr dunkel war, und mir kam der Gedanke, daß es wohl noch recht früh sein mußte und ich völlig grundlos in Panik geraten war. Wie ich das jetzt sah, war es immer noch möglich, den Konzertsaal rechtzeitig zu erreichen, um einen Großteil der Ereignisse miterleben und gewiß noch meinen eigenen Beitrag leisten zu können.
    Geistesabwesend hatte ich die ganze Zeit an der Tür gerüttelt. Jetzt nahm ich eine ganze Reihe von Riegeln wahr, und nachdem ich alle der Reihe nach geöffnet hatte, trat ich auf den Platz hinaus.
    Nach der stickigen Atmosphäre des Cafés fand ich die Luft herrlich erfrischend, und wenn ich nicht so wenig Zeit gehabt hätte, wäre ich gern noch eine Weile auf dem Platz herumgegangen, um meinen Kopf zu klären. Doch so machte ich mich entschlossen auf die Suche nach dem Konzertsaal.
    Einige Minuten lang eilte ich durch die leeren Straßen, an geschlossenen Cafés und Geschäften vorbei, ohne auch nur ein einziges Mal das Kuppeldach entdecken zu können. Von der Altstadt mit ihren Laternen ging ein gewisser Charme aus, doch je länger ich umhereilte, desto schwieriger fand ich es, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Ich hatte natürlich erwartet, einigen durch die Nacht fahrenden Taxis zu begegnen; oder doch wenigstens ein paar Leuten, die vielleicht aus einer bis spät in die Nacht geöffneten Lokalität kämen und die ich nach dem Weg fragen könnte. Doch abgesehen von einigen streunenden Katzen schien ich im Umkreis von Meilen das einzige Wesen zu sein, das um diese Stunde noch wach war.
    Ich überquerte Straßenbahnschienen, dann sah ich, daß ich am Ufer eines Kanals entlangging. Ein kalter Wind kam vom Wasser her, und da immer noch keine Spur von dem Konzertsaal zu entdecken war, konnte ich die Ahnung nicht länger unterdrücken, daß ich mich gründlich verirrt hatte. Ich hatte beschlossen, es mit einer Straßenbiegung etwas weiter vorne zu versuchen – nach einer engen Kurve zweigte dort eine schmale Straße ab -, als ich Schritte hörte und eine Frau aus genau dieser Straße herauskommen sah.
    Ich hatte mich so sehr an den

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