Die Ungetroesteten
behagliche Gefühl zwischen uns. Da waren wir und erledigten diese Arbeit zusammen. Er nahm etwas heraus, dann nahm ich etwas heraus. Und die ganze Zeit haben wir geredet, über nichts Besonderes, wir haben uns einfach nur unterhalten, während wir auspackten. Erst vorgestern morgen habe ich diesen Traum gehabt. Dann bin ich aufgewacht, habe dagelegen und durch die Gardinen in die Morgendämmerung geschaut, und ich war sehr glücklich. Ich habe mir gesagt, bald ist es womöglich wirklich so. Später, noch am selben Tag, würden wir genau so einen Augenblick erleben. Natürlich würden wir nicht unbedingt einen Koffer auspacken. Aber irgend etwas, irgend etwas würden wir später noch machen, eine Chance würde es geben. Ich bin wieder eingeschlafen, während ich mir das noch sagte, und ich war sehr glücklich. Dann kam der Morgen. Es ist wirklich merkwürdig, Mr. Ryder, aber es geht jedesmal so. Kaum hat der Tag begonnen, kommt diese andere Sache, diese Kraft , und übernimmt. Und was auch immer ich tue, alles zwischen uns geht in eine andere Richtung, nicht in die Richtung, die ich wollte. Ich kämpfe dagegen an, Mr. Ryder, aber im Lauf der Jahre habe ich zunehmend an Boden verloren. Es ist etwas, das... das mir einfach so passiert. Mein Mann gibt sich solche Mühe, er bemüht sich so, mir zu helfen, aber es hat keinen Sinn. Bis ich zum Frühstück hinuntergehe, sind all die Dinge, die ich in dem Traum gespürt habe, längst verschwunden.«
Einige auf dem Bürgersteig geparkte Fahrzeuge zwangen uns, hintereinander zu gehen, und Mrs. Hoffman ging ein paar Schritte voraus. Als ich wieder zu ihr aufschloß, fragte ich:
»Und was glauben Sie, was das ist? Diese Kraft, von der Sie sprechen?«
Plötzlich lachte sie. »Es sollte gar nicht so übersinnlich klingen, Mr. Ryder. Die offensichtliche Antwort ist selbstverständlich, daß es alles mit Mr. Christoff zu tun hat. Eine Weile habe ich das jedenfalls geglaubt. Natürlich glaubt das mein Mann, das weiß ich. Wie so viele Leute in der Stadt habe ich gedacht, wir müßten unsere Sympathien einfach verlagern und Mr. Christoff durch jemand Bedeutenderen ersetzen. Aber seit kurzem bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich glaube allmählich, daß es durchaus mit mir zu tun haben könnte. Eine Art Krankheit, die ich da habe. Es könnte auch einfach ein Zeichen des Alters sein. Wir werden schließlich alle älter, und Teile von uns beginnen zu sterben. Vielleicht fangen wir auch an, emotional zu sterben. Halten Sie das für möglich, Mr. Ryder? Ich fürchte, es ist möglich, ich fürchte, das könnte der wahre Grund sein. Daß wir Mr. Christoff verabschieden, nur um dann, zumindest in meinem speziellen Fall, feststellen zu müssen, daß sich nichts geändert hat.«
Wir bogen um eine weitere Ecke. Die Bürgersteige waren sehr schmal, und wir mußten mitten auf der Straße weitergehen. Ich hatte den Eindruck, daß sie auf meine Antwort wartete, und so sagte ich schließlich:
»Was immer es auch mit dem Alter auf sich hat, Mrs. Hoffman, meiner Meinung nach ist es von entscheidender Bedeutung für Sie, daß Sie den Mut nicht verlieren. Daß Sie sich nicht fallenlassen in dieses... was immer es auch ist.«
Mrs. Hoffman schaute in den Nachthimmel hinauf und ging eine Weile weiter, ohne etwas darauf zu erwidern. Dann sagte sie: »Diese herrlichen Träume früh am Morgen. Wenn dann der Tag beginnt und nichts davon wirklich passiert, gebe ich mir selbst oft voller Verbitterung die Schuld daran. Aber ich versichere Ihnen, ich habe noch nicht aufgegeben, Mr. Ryder. Wenn ich aufgeben würde, gäbe es da nicht mehr viel in meinem Leben. Aber ich weigere mich einfach, jetzt schon von meinen Träumen zu lassen. Ich will immer noch eines Tages eine warme, enge Familie. Aber das ist es nicht allein, Mr. Ryder. Sehen Sie, es mag ja dumm von mir sein, das zu glauben, und das können Sie mir dann ruhig sagen. Aber wissen Sie, ich hoffe, daß ich es eines Tages ausfindig machen werde, was immer es auch ist. Ich hoffe, ich mache es ausfindig, und dann spielt es keine Rolle mehr, all diese Jahre, in denen das ständig in mir gearbeitet hat, werden dann ausgelöscht sein. Ich habe so eine Ahnung, daß es dazu nur einen Moment braucht, einen einzigen, winzigen Moment, vorausgesetzt, es ist der richtige. Wie eine Schnur, die plötzlich zerreißt, ein dichter Vorhang, der sich plötzlich hebt, um eine gänzlich neue Welt zu enthüllen, eine Welt voller Sonnenschein und Wärme. Sie sehen aus, als
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