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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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die Frau, die mich einrahmten, sangen beispielsweise völlig unterschiedliche Wörter, und beide taten das, ohne zu zögern und ohne alle Verlegenheit. Als ich einen Moment lang aufmerksam zuhörte, wurde mir tatsächlich klar, daß sie beide völligen Unsinn sangen, doch darauf schien es nicht anzukommen, und bald schon nahm auch mich die Atmosphäre gefangen, und ich fing an zu singen und erfand Wörter, die für meine Ohren ungarisch klangen. Aus irgendeinem Grund funktionierte das überraschend gut – ich stellte fest, daß mehr und mehr von diesen Wörtern mit erfreulicher Leichtigkeit aus mir herausströmten -, und bald schon sang ich mit beträchtlicher Leidenschaft.
    Etwa zwanzig Minuten später sah ich schließlich, daß die Menge anfing, sich zu lichten. Auch sah ich, daß die Kellner begonnen hatten, aufzufegen und die Tische an ihren Platz zurückzustellen. Dennoch war da noch eine recht große Gruppe von Leuten, auch ich war dabei, die sich mit untergehakten Armen und leidenschaftlich singend durch den Raum drehten. Auch die Zigeuner standen noch auf dem Tisch und gaben durch nichts zu erkennen, daß sie mit dem Spielen aufhören wollten. Während ich mich von meinen Gefährten sanft durch den Raum schieben und ziehen ließ, spürte ich, wie mich jemand antippte, und ich schaute über die Schulter und sah den Mann, den ich für den Cafébesitzer hielt und der mich anlächelte. Während ich mich vorwärtsschunkelte, hielt er entgegenkommenderweise mit mir Schritt und bewegte sich dabei wegen seiner Größe vornübergebeugt schlurfend, so daß er ein wenig an Groucho Marx erinnerte.
    »Sie sehen sehr erschöpft aus, Mr. Ryder«, schrie er mir praktisch ins Ohr, aber dennoch hörte ich ihn nur gerade eben über dem Gesang. »Und Sie haben einen so langen und wichtigen Abend vor sich. Bitte, wieso ruhen Sie sich nicht ein paar Minuten aus? Wir haben da ein gemütliches Hinterzimmer, meine Frau hat ein paar Kissen und Decken gebracht und das Sofa vorbereitet, den Gasofen hat sie auch angemacht. Sie werden das bestimmt sehr gemütlich finden. Sie sollten sich hinlegen und eine Weile schlafen. Das Zimmer ist klein, das stimmt schon, aber es geht nach hinten hinaus und ist sehr ruhig. Niemand wird Sie da stören, dafür werden wir schon sorgen. Sie werden das bestimmt sehr gemütlich finden. Also wirklich, Mr. Ryder, ich meine, Sie sollten die wenige Zeit nutzen, die Ihnen jetzt noch bis zum eigentlichen Beginn des Abends bleibt. Kommen Sie doch bitte hier entlang. Sie sehen sehr erschöpft aus.«
    Sosehr ich den Gesang und die Gesellschaft genoß, ich merkte nun doch, daß ich tatsächlich ungeheuer erschöpft war und daß sein Vorschlag durchaus sehr vernünftig zu sein schien. Tatsächlich gefiel mir der Gedanke an eine kurze Ruhepause immer besser, und während der Cafébesitzer immer noch lächelnd hinter mir herschlurfte, empfand ich ihm gegenüber allmählich eine tiefe Dankbarkeit, nicht nur wegen dieses freundlichen Angebots, sondern auch wegen der Möglichkeiten, die dieses wunderbare Café bot, und wegen seiner Großzügigkeit den Hoteldienern gegenüber – einer offensichtlich innerhalb der Gemeinde nicht recht gewürdigten Zunft. Ich machte meine Arme los, lächelte den Leuten zu beiden Seiten zum Abschied zu, und schon hatte der Cafébesitzer mir eine Hand auf die Schulter gelegt und schleuste mich zu einer Tür im hinteren Bereich des Lokals.
    Er führte mich durch einen verdunkelten Raum – ich sah an den Wänden aufgestapelte Ware -, und dann öffnete er eine weitere Tür, durch die ein schwaches warmes Licht fiel.
    »Da wären wir«, sagte der Cafébesitzer und führte mich hinein. »Ruhen Sie sich einfach auf dem Sofa aus. Halten Sie die Tür verschlossen, und wenn es zu warm wird, drehen Sie einfach den Thermostat des Gasofens eine Stufe niedriger. Nur keine Sorge, das ist vollkommen sicher.«
    Das Feuer im Gasofen war die einzige Lichtquelle im Raum. In dem orangefarbenen Leuchten erkannte ich das Sofa, das ein wenig muffig, aber nicht unangenehm roch, und dann hatte sich, bevor ich es noch merkte, die Tür geschlossen, und ich war allein. Ich kletterte auf das Sofa, das gerade lang genug war, daß ich mich hinlegen konnte, vorausgesetzt, ich rollte mich ein wenig zusammen, und dann zog ich die Decke hoch, die die Frau des Cafébesitzers mir dagelassen hatte.

4

ACHTUNDZWANZIG
    Ich erwachte mit dem panikartigen Gefühl, viel zu lange geschlafen zu haben. Tatsächlich war mein erster

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