Die Ungetroesteten
müssen auch Boris mitbringen«, sagte er ganz leise. »So klein ist er nun auch nicht mehr. Soll er mich ruhig so sehen. Er muß das Leben kennenlernen. Muß dem Leben gegenübertreten.«
Die Augen schlossen sich wieder, und als sich seine Gesichtszüge anspannten, dachte ich, er werde wieder von einer Schmerzattacke heimgesucht. Doch diesmal war es etwas anderes, und als ich voller Sorge hinunterschaute, sah ich, daß der alte Mann weinte. Ich schaute ihn noch eine Weile an, weil ich nicht wußte, was ich tun sollte. Schließlich berührte ich ihn sanft an der Schulter.
»Ich mache, so schnell ich kann«, flüsterte ich.
Als ich aus der Garderobe trat, wandten sich mir die anderen Hoteldiener, die sich alle dicht um den Eingang geschart hatten, mit ängstlicher Miene zu. Ich drängte mich an ihnen vorbei und sagte bestimmt:
»Bitte passen Sie gut auf ihn auf, meine Herren. Ich muß eine dringende Angelegenheit erledigen, und deshalb müssen Sie mich jetzt entschuldigen.«
Jemand wollte noch etwas fragen, aber ich eilte weiter.
Es war meine Absicht, Hoffman zu finden und darauf zu bestehen, sofort zu Sophies Wohnung gefahren zu werden. Doch als ich dann schnell den Korridor entlangging, wurde mir klar, daß ich keine Ahnung hatte, wo ich nach dem Hoteldirektor suchen sollte. Außerdem sah der Korridor inzwischen ganz anders aus, gar nicht mehr wie vorhin, als ich mit dem bärtigen Hoteldiener hier entlanggekommen war. Es wurden immer noch einige Servierwagen hin und her geschoben, doch es wimmelte jetzt hier von Menschen, von denen ich nur annehmen konnte, daß es sich um Mitglieder des Tourneeorchesters handelte. Eine lange Reihe von Garderoben war zu beiden Seiten des Korridors erschienen, bei vielen waren die Türen offen, und die Musiker standen zu zweit oder zu dritt zusammen, unterhielten sich und lachten, einige riefen sich über den Flur etwas zu. Zuweilen kam ich an einer geschlossenen Tür vorbei, hinter der die Klänge eines Instruments zu hören waren, aber im großen und ganzen schien mir die Stimmung der Musiker überraschend ausgelassen und albern zu sein. Ich wollte schon stehenbleiben und einen von ihnen fragen, wo ich wohl Hoffman finden könnte, als ich ihn plötzlich durch die halbgeöffnete Tür einer Garderobe erblickte. Ich ging hin und stieß die Tür noch ein wenig weiter auf.
Hoffman stand vor einem großen Spiegel und betrachtete sich gründlich. Er war in Abendkleidung, und mir fiel auf, daß er ein übertrieben starkes Make-up aufgetragen hatte, so daß ihm etwas von dem Puder auf Schultern und Revers geraten war. Er murmelte ganz leise vor sich hin, wobei er den Blick nicht ein einziges Mal von seinem Spiegelbild abwandte. Dann, während ich ihn von der Tür her weiter beobachtete, vollführte er plötzlich eine merkwürdige Bewegung. Ganz unvermittelt beugte er sich aus der Taille heraus nach vorn, wobei er den abgewinkelten Arm steif nach oben schnellen ließ, so daß der Ellenbogen hervorragte, und dann schlug er sich mit der Faust auf die Stirn – einmal, zweimal, dreimal. Während dieser ganzen Vorstellung wandte er weder die Augen vom Spiegel ab, noch hörte er mit dem Geflüster auf. Dann richtete er sich auf und betrachtete sich schweigend. Ich hatte den Eindruck, als wolle er mit der ganzen Vorstellung noch einmal von vorn beginnen, deshalb räusperte ich mich schnell und sagte:
»Mr. Hoffman.«
Er schrak zusammen und starrte mich an.
»Ich habe Sie gestört«, sagte ich. »Verzeihen Sie.«
Höchst verwirrt schaute sich Hoffman um, dann schien er seine Haltung wiederzugewinnen.
»Mr. Ryder«, sagte er lächelnd. »Wie fühlen Sie sich? Ich hoffe, alles hier ist zu Ihrer Zufriedenheit.«
»Mr. Hoffman, da hat sich etwas von größter Dringlichkeit ergeben. Ich bräuchte unbedingt einen Wagen, der mich so schnell wie möglich an einen bestimmten Ort bringt. Kann das sofort in die Wege geleitet werden?«
»Ein Wagen, Mr. Ryder? Jetzt?«
»Es ist eine Angelegenheit von allergrößter Dringlichkeit. Natürlich beabsichtige ich, sofort wieder zurückzukommen, auf jeden Fall rechtzeitig, um meinen verschiedenen Verpflichtungen nachzukommen.«
»Ja, ja, natürlich.« Hoffman sah leicht besorgt drein. »Der Wagen dürfte überhaupt kein Problem sein. Unter normalen Umständen könnte ich Ihnen selbstverständlich auch einen Fahrer zur Verfügung stellen, oder ich würde mich glücklich schätzen, Sie selbst zu fahren. Leider hat mein Personal hier im Augenblick alle
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