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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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leerstehenden.«
    Er war ziemlich schnell den Korridor entlang vorausgegangen und hatte die ganze Zeit über die Schulter nach hinten gesprochen, doch während wir uns jetzt an einem Servierwagen vorbeizwängten, brach er ab.
    »Das klingt ja alles sehr beunruhigend«, sagte ich. »Wann genau ist das denn passiert?«
    »Es muß wohl vor ein paar Stunden gewesen sein. Anfangs schien es ihm gar nicht so schlecht zu gehen, und er hat immer wieder gesagt, daß er nur ein paar Minuten braucht, um wieder zu Atem zu kommen. Aber Hubert hat sich Sorgen gemacht und hat uns verständigen lassen, und sofort sind wir zur Stelle gewesen, wir alle. Wir haben eine Matratze gefunden, damit er sich hinlegen konnte, und eine Decke, aber dann schien es ihm schlechter zugehen, und wir haben uns beraten und beschlossen, daß er professionelle Hilfe braucht. Aber Gustav wollte davon nichts wissen, er ist plötzlich sehr bestimmt geworden und hat gesagt, er will erst mit Ihnen sprechen, Mr. Ryder. Er hat sehr nachdrücklich darauf bestanden, er hat gesagt, er würde dann auch bald ins Krankenhaus gehen, wenn wir es denn nun einmal so beschlossen hätten, aber erst, wenn er mit Ihnen gesprochen hat. Und da, direkt vor unseren Augen, ging es ihm dann immer schlechter. Aber er hat nicht vernünftig mit sich reden lassen, Mr. Ryder, also haben wir uns wieder auf die Suche nach Ihnen gemacht. Gott sei Dank habe ich Sie gefunden. Hier ist es, die letzte Tür am Ende des Korridors.«
    Ich hatte gedacht, der Korridor verlaufe endlos im Kreis, aber jetzt sah ich, daß er an einer cremefarbenen Wand vor uns aufhörte. Die letzte Tür stand offen, und der bärtige Hoteldiener blieb an der Schwelle stehen und lugte vorsichtig in den Raum. Mit einer Geste forderte er mich dann auf hineinzukommen, und ich betrat hinter ihm den Raum.
    Direkt bei der Tür stand etwa ein Dutzend Leute, die sich alle zu uns umdrehten und dann hastig beiseite traten. Ich nahm an, daß es die anderen Hoteldiener waren, aber ich hielt mich nicht damit auf, sie mir gründlich anzusehen, mein Blick hatte sich schon auf Gustavs Gestalt am anderen Ende des Raumes geheftet.
    Er lag auf einer Matratze auf dem gefliesten Boden und hatte eine Decke über sich. Ein Hoteldiener kauerte an seiner Seite und sagte ganz sanft etwas zu ihm, aber als er mich sah, stand er auf. Im nächsten Moment hatte sich dann der Raum geleert, die Tür hinter uns sich geschlossen, und ich war mit Gustav allein.
    In der kleinen Garderobe standen keine Möbel, da war nicht einmal ein einfacher Stuhl. Es gab keine Fenster, und obwohl aus dem Rost der Belüftungsanlage dicht unterhalb der Decke ein schwaches Brummen zu uns drang, war die Luft stickig. Der Boden fühlte sich kalt und hart an, und die Deckenleuchte war entweder ausgeschaltet worden oder funktionierte nicht, und so waren die Glühbirnen am Schminkspiegel unsere einzige Lichtquelle. Doch trotzdem konnte ich klar und deutlich erkennen, daß Gustavs Gesicht eine merkwürdige graue Färbung angenommen hatte. Er lag auf dem Rücken, ganz still, und rührte sich nur, wenn ihn von Zeit zu Zeit eine Art Welle durchzuckte und ihn zwang, den Kopf noch tiefer in die Matratze zu pressen. Er hatte mich angelächelt, kaum daß ich in den Raum getreten war, hatte aber nichts gesagt, zweifellos schonte er sich für den Moment, in dem wir allein sein würden. Jetzt sagte er mit einer Stimme, die schwach, aber ansonsten überraschend gefaßt klang:
    »Tut mir wirklich leid, Mr. Ryder, daß ich Sie auf diese Weise hierhergelotst habe. Das ist sehr ärgerlich, daß das jetzt passieren mußte, und das ausgerechnet an diesem Abend. Wo Sie doch dabei sind, uns diesen großen Gefallen zu tun.«
    »Ja, ja«, sagte ich schnell, »aber hören Sie. Wie geht es Ihnen denn?« Ich kauerte mich neben ihn.
    »Ich glaube, mir geht es nicht so besonders. Und ich denke, ich werde auch jetzt bald ins Krankenhaus gehen und mich untersuchen lassen.«
    Er schwieg, während eine weitere Welle durch ihn fuhr, und für einen kurzen Moment entspann sich dort auf der Matratze ein stiller Kampf, in dessen Verlauf der ältliche Hoteldiener die Augen schloß. Dann öffnete er die Augen wieder und sagte:
    »Ich mußte einfach mit Ihnen sprechen, Mr. Ryder. Da gibt es etwas, über das ich mit Ihnen reden wollte.«
    »Bitte lassen Sie mich Ihnen hier und jetzt versichern«, sagte ich, »daß ich mich Ihrer Sache nach wie vor verpflichtet fühle. Tatsächlich freue ich mich schon darauf, vor allen

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