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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Anwesenden heute abend die ungerechte Behandlung aufzudecken, die Sie und Ihre Kollegen im Laufe der Jahre erfahren haben. Ich habe fest vor, die vielen Mißverständnisse klar hervorzuheben...«
    Ich schwieg, denn ich hatte bemerkt, daß er versuchte, meine Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt, Mr. Ryder«, sagte er nach einer Pause, »daß Sie zu Ihrem Wort stehen würden. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie so zu uns halten. Aber da ist etwas anderes, über das ich mit Ihnen sprechen möchte.« Wieder machte er eine Pause, und ein weiteres stilles Ringen begann.
    »Also wirklich«, sagte ich, »es wäre doch wohl klüger, wenn Sie jetzt sofort ins Krankenhaus gingen...«
    »Nein. Bitte. Wenn ich erst einmal im Krankenhaus bin, tja, dann ist es womöglich zu spät. Sehen Sie, es ist jetzt wirklich höchste Zeit, daß ich mit ihr spreche. Mit Sophie, meine ich. Ich muß einfach mit ihr sprechen. Ich weiß, Sie sind heute abend sehr beschäftigt, aber sehen Sie, es weiß doch sonst keiner davon. Von der Situation zwischen mir und Sophie, von unserer Übereinkunft. Ich weiß, es ist ein bißchen viel verlangt, Mr. Ryder, aber ich frage mich, ob Sie nicht zu ihr gehen und ihr alles erklären könnten. Niemand sonst könnte das.«
    »Tut mir leid«, sagte ich ehrlich verwirrt. »Erklären? Was genau soll ich ihr denn erklären?«
    »Erklären Sie es ihr, Mr. Ryder. Weshalb unsere Übereinkunft … weshalb sie jetzt beendet werden muß. Es wird nicht leicht sein, sie dazu zu überreden, nach all diesen Jahren. Aber wenn Sie es versuchen und ihr klarmachen könnten, warum wir versuchen müssen, es jetzt zu beenden. Mir ist klar, daß ich sehr viel von Ihnen verlange, aber es ist ja auch noch eine Weile hin, bis man Sie auf der Bühne erwartet. Und wie gesagt, Sie sind der einzige, der davon etwas weiß…«
    Er brach ab, als eine weitere Schmerzwelle ihn überwältigte. Ich spürte, daß all seine Muskeln sich unter der Decke verkrampften, doch diesmal hielt er den Blick auf mich geheftet, und irgendwie gelang es ihm, die Augen offenzuhalten, obwohl er von Kopf bis Fuß zitterte. Als sein Körper sich wieder entspannt hatte, sagte ich:
    »Ja, richtig, es dauert noch ein wenig, ehe ich gebraucht werde. Also schön, ich werde sehen, was ich tun kann. Ich will versuchen, es ihr klarzumachen. Auf jeden Fall werde ich sie so schnell wie möglich hierherbringen. Aber wir wollen hoffen, daß Sie sich bis dahin erholt haben und daß die ganze Situation sich als längst nicht so kritisch erweist, wie Sie befürchtet haben …
    »Bitte, Mr. Ryder. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sie schnell herbringen könnten. In der Zwischenzeit will ich natürlich mein Möglichstes tun, um durchzuhalten...«
    »Ja, ja, ich mache mich sofort auf den Weg. Bitte gedulden Sie sich, ich bin so schnell wie möglich wieder zurück.«
    Ich richtete mich auf und ging Richtung Tür. Ich hatte die Tür schon fast erreicht, als mir plötzlich etwas einfiel, und so ging ich wieder zu der am Boden liegenden Gestalt zurück.
    »Boris«, sagte ich zu ihm und kauerte mich noch einmal hin. »Was ist mit Boris? Soll ich ihn auch herbringen?«
    Gustav schaute zu mir hoch, dann holte er tief Luft und schloß die Augen. Als er nach einer ganzen Weite immer noch nicht geantwortet hatte, sagte ich:
    »Vielleicht ist es am besten, er sieht Sie gar nicht in diesem … in diesem Zustand, in dem Sie im Moment sind.«
    Ich glaubte, ein ganz schwaches Nicken gesehen zu haben, aber Gustav sagte immer noch nichts, die Augen blieben geschlossen.
    »Schließlich«, so fuhr ich fort, »hat er ein ganz bestimmtes Bild von Ihnen. Vielleicht wollen Sie ja, daß er Sie so in Erinnerung behält.«
    Diesmal nickte Gustav deutlicher.
    »Ich habe ja nur gedacht, ich sollte Sie das fragen«, sagte ich und richtete mich wieder auf. »Also schön. Ich bringe dann nur Sophie hierher. Ich bin bald wieder zurück.«
    Ich war wieder bei der Tür – ich hatte meine Hand schon am Griff – als er plötzlich hinter mir rief:
    »Mr. Ryder!«
    Er hatte das überraschend laut gerufen, außerdem war seine Stimme von derart merkwürdiger Intensität, daß ich kaum glauben konnte, sie sei von Gustav gekommen. Und doch waren seine Augen, als ich mich zu ihm umwandte, wieder geschlossen, und er schien ganz ruhig dazuliegen. Einigermaßen besorgt lief ich noch einmal zu ihm zurück. Aber da öffnete Gustav die Augen und schaute zu mir hoch.
    »Sie

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