Die Ungetroesteten
mich wirken mußte, Mr. Ryder, als ich Sie heute abend nach Ihrer Übungsstunde zurückfuhr und Sie zufällig und ganz arglos erwähnten, daß Miss Collins einem Treffen mit Mr. Brodsky zugestimmt hatte, als Sie ganz deutlich erklärten, daß Mr. Brodsky in ebenjenem Augenblick auf dem Sankt-Peter-Friedhof auf sie wartete... Du meine Güte, so schnell ist das gegangen! Unser Mr. Brodsky hat ganz eindeutig etwas von einem Valentino an sich! Da habe ich begriffen, daß ich etwas unternehmen mußte, Mr. Ryder. Ich konnte es nicht zulassen, daß Miss Collins ins Elend zurückgestoßen wurde, schon gar nicht als Folge von etwas, das ich, wie indirekt auch immer, getan hatte. Also habe ich vorhin, nachdem Sie mir höchst gnädig erlaubt hatten, Sie in der Stadt abzusetzen, die Gelegenheit ergriffen und habe Miss Collins in ihrer Wohnung aufgesucht. Sie war natürlich überrascht, mich zu sehen. Überrascht, daß ich sie ausgerechnet an diesem Abend persönlich aufsuchte. Mit anderen Worten, meine Gegenwart allein sprach schon Bände. Sie bat mich sofort herein, und ich entschuldigte mich für meinen unangemeldeten Besuch und für die Tatsache, daß ich mich dem schwierigen Thema, das ich ansprechen wollte, nicht mit der Behutsamkeit und dem Takt nähern konnte, die ich normalerweise hätte walten lassen. Das hat sie natürlich voll und ganz verstanden. ›Ich sehe ein, Mr. Hoffman‹, sagte sie, ›unter welch großem Druck Sie heute abend stehen müssen.‹ Wir setzten uns in das vordere Wohnzimmer, und ich kam gleich zur Sache. Ich erzählte ihr, was ich über ihr geplantes Rendezvous gehört hatte. Dabei senkte Miss Collins den Blick, genau wie ein kleines Schulmädchen. Dann sagte sie ganz schüchtern: ›Ja, Mr. Hoffman. In dem Moment, in dem Sie an meiner Tür klingelten, war ich sogar gerade dabei, mich fertigzumachen. Seit über einer Stunde schon probiere ich verschiedene Kleider an. Probiere verschiedene Arten, mein Haar hochzustecken. Und das in meinem Alter, ist das nicht komisch? Ja, Mr. Hoffman, es stimmt schon. Er war heute vormittag hier, und er hat mich dazu überredet!‹ So etwas in der Art hat sie gesagt, hat es eher gemurmelt, ganz und gar nicht so, wie diese elegante Dame sonst spricht. Also fuhr ich fort. Natürlich ging ich ganz behutsam vor. Taktvoll wies ich auf die möglichen Gefahren hin. ›Das ist ja alles gut und schön, Miss Collins.‹ Derartiger Floskeln bediente ich mich. Ich ging so vorsichtig zu Werke, wie es mir in Anbetracht der begrenzten Zeit möglich war. Wäre es ein anderer Abend gewesen, hätten wir mehr Zeit gehabt, allerlei Höflichkeiten auszutauschen, ein wenig Konversation zu betreiben, dann, das darf ich wohl sagen, hätte ich meine Aufgabe natürlich mit mehr Geschick erfüllt. Aber vielleicht hätte das auch kaum einen Unterschied gemacht. Die Wahrheit wäre in jedem Fall hart für sie gewesen. Na jedenfalls, bei all meinem Bemühen, so behutsam wie möglich vorzugehen... als ich sie dann schließlich mit der Wahrheit konfrontierte, als ich zu ihr sagte: ›All diese Wunden werden wieder aufgerissen werden, Miss Collins. Sie werden weh tun, sie werden Ihnen große Schmerzen bereiten. Das Ganze wird Sie zermürben, Miss Collins. Innerhalb weniger Wochen, innerhalb weniger Tage. Wie können Sie das vergessen haben? Wie können Sie sich alldem wieder aussetzen? Was Sie schon einmal durchgemacht haben, die Demütigungen, die tiefen Verletzungen, all das wird sich wiederholen, und zwar noch schlimmer als vorher. Und das, nachdem Sie die ganzen Jahre alles getan haben, um sich ein neues Leben aufzubauen!‹ Als ich ihr die Dinge mit diesen Worten klarmachte – ach, ich kann Ihnen sagen, Mr. Ryder, das ist gar nicht einfach gewesen -, habe ich gesehen, wie sie innerlich zusammengefallen ist, auch wenn sie nach außen hin versuchte, Ruhe zu bewahren. Ich habe gesehen, wie die Erinnerung an all das zurückgekommen ist, wie die alten Wunden wieder aufgebrochen sind. Es ist gar nicht einfach gewesen, Mr. Ryder, das kann ich Ihnen sagen, aber ich hielt es für meine Pflicht fortzufahren. Dann schließlich sagte sie ganz leise: ›Aber Mr. Hoffman. Ich habe es ihm doch versprochen. Ich habe ihm versprochen, ihn heute abend zu treffen. Er wird sich auf mich verlassen. Vor einem solch großen Abend wie diesem braucht er mich immer.‹ Woraufhin ich sagte: ›Natürlich wird er enttäuscht sein, Miss Collins. Aber ich selbst werde mein Möglichstes tun, um es ihm zu erklären. Wie dem
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