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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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muß jetzt alles langsamer angehen. Ich habe da so meine Pläne, ich habe dir nie davon erzählt, aber seit einiger Zeit habe ich da so meine Pläne. Ich werde Herrn Hoffman um eine Unterredung bitten. So eine richtige Unterredung mit ihm über Großvaters Zukunft. Ich habe schon alles vorbereitet. Ich habe mit Herrn Sedelmayer vom Hotel Imperial und auch mit Herrn Weissberg vom Ambassador gesprochen. Ich habe dir nie etwas davon erzählt, aber ich habe gesehen, daß Großvater nicht mehr so kräftig ist wie früher. Also habe ich Erkundigungen eingezogen. Wenn jemand so lange in einem Hotel gearbeitet hat wie dein Großvater, ist es nicht unüblich, nein, von einem gewissen Stadium an ist es keineswegs unüblich, daß man so jemandem dann eine etwas andere Arbeit gibt. Damit er nicht mehr gar so viel zu tun hat wie vorher. Im Hotel Imperial gibt es diesen Mann, er ist viel älter als dein Großvater, man sieht ihn gleich, wenn man in die Halle kommt. Früher war er Küchenchef, aber als er später für die Arbeit zu alt wurde, haben sie sich dann dazu entschlossen. Er hat eine prächtige Uniform und sitzt in einer Ecke der Halle hinter diesem großen Mahagonitisch mit Füllfederhalter und Tintenfaß. Herr Sedelmayer sagt, es funktioniert wunderbar, und er ist jeden Pfennig wert. Die Besucher des Hotels, vor allem die Stammgäste, wären empört, wenn sie in die Halle kämen und der alte Mann würde nicht dort hinter seinem Schreibtisch sitzen. Das Arrangement gibt dem Ganzen eine solche Vornehmheit. Na ja, ich dachte, ich spreche einmal mit Herrn Hoffman darüber. So etwas könnte Großvater ja auch tun. Natürlich würde er dann weniger Geld bekommen, aber er könnte sein kleines Zimmer behalten, das er doch so liebt, und würde zu essen bekommen. Vielleicht könnten sie ihm so einen Schreibtisch geben wie im Imperial. Aber andererseits möchte Großvater eventuell stehen. In einer besonderen Uniform, irgendwo in der Halle. Ich will ja nicht sagen, daß das alles sofort geschehen muß. Aber doch recht bald. Er ist nicht mehr der Jüngste, und das jetzt ist ein Warnzeichen. Davor können wir die Augen nicht verschließen. Wir haben nichts davon, wenn wir uns etwas vormachen.«
    Sophie schwieg einen Augenblick. Inzwischen hatte ich uns bis an den Waldrand gebracht. Der Morgenhimmel hatte eine purpurne Färbung angenommen.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte Boris. »Mit Großvater kommt schon wieder alles in Ordnung.«
    Ich hörte Sophie tief seufzen. Dann sagte sie:
    »Er würde dann auch mehr Zeit haben. Er ist dann nicht mehr annähernd so beschäftigt, und du wirst nachmittags öfter mit ihm in die Altstadt gehen können. Oder wohin auch immer du mit ihm gehen willst. Aber er wird einen anständigen Mantel brauchen. Deshalb habe ich diesen hier mitgebracht. Es ist höchste Zeit, daß ich ihm den gebe. Ich habe ihn lange genug bei mir gehabt.«
    Es war ein Rascheln zu hören, und als ich in den Spiegel schaute, sah ich, daß Sophie neben sich das weiche braune Paket mit dem Mantel ihres Vaters hielt. In dem Moment mußte ich ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken, um etwas zu fragen, das unseren Weg betraf, und zum erstenmal, seit wir losgefahren waren, schien sie meine Anwesenheit zu bemerken. Sie beugte sich vor und sagte dicht an meinem Ohr:
    »Ich habe damit gerechnet, daß so etwas passieren würde. Bald werde ich eine Unterredung mit Herrn Hoffman führen.«
    Ich murmelte etwas Zustimmendes und schaltete die Scheinwerfer ein, als wir in die Dunkelheit des Waldes eintauchten.
    »Andere Leute«, sagte Sophie. »Andere machen einfach weiter, als ob sie alle Zeit der Welt hätten. Das ist nie meine Art gewesen.«
    Während der nächsten Minuten schwieg sie, doch ich spürte ihre Gegenwart ganz in meiner Nähe, und ich merkte, daß ich aus irgendeinem Grund damit rechnete, jeden Moment ihre Finger auf meinem Gesicht zu fühlen. Dann sagte sie leise:
    »Ich weiß noch. Als Mutter starb. Wie einsam er da war.«
    Ich schaute sie wieder im Spiegel an. Sie war immer noch zu mir vorgebeugt, doch sie starrte hinaus in den an uns vorüberziehenden Wald.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie leise, und der Mantel raschelte erneut. »Ich werde schon dafür sorgen, daß wir es schön haben. Wir drei. Dafür werde ich schon sorgen.«

    Irgendwo hinter dem Konzertsaal brachte ich den Wagen auf einem kleinen Parkplatz zum Stehen. Direkt vor uns war eine Tür, über der immer noch ein Nachtlicht brannte, und obwohl es nicht die Tür

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