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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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elektronische Anzeigetafel mitgebracht. Kannst du dir das vorstellen? Was soll ich denn nur machen? Diese Leute halten so vieles für selbstverständlich. Was soll ich denn noch alles tun, ausgerechnet heute abend? Aber es ist eben überall dasselbe. Sie erwarten einfach alles von mir. Wahrscheinlich werden sie sich heute abend gegen mich wenden, das würde mich nicht einmal überraschen. Wenn sie mit meinen Antworten nicht zufrieden sind, werden sie sich gegen mich wenden, und was soll ich dann machen? Vielleicht komme ich ja nicht einmal bis an den Flügel. Oder meine Eltern verlassen womöglich den Saal, und zwar in dem Moment, wo sich die Leute gegen mich wenden...«
    »Also hör mal, so beruhige dich doch«, sagte Sophie. »Es wird schon alles klappen. Sie wenden sich doch nie gegen dich. Immer sagst du, sie werden sich gegen dich wenden, aber in all diesen Jahren hat sich bisher niemand, nicht ein einziger, gegen dich gewendet...«
    »Aber verstehst du denn gar nicht? Das heute ist doch nicht irgendein Abend. Meine Eltern kommen. Wenn sie sich heute abend gegen mich wenden, dann wird es... dann wird es...«
    »Sie werden sich nicht gegen dich wenden«, unterbrach Sophie mich wieder. »Das sagst du jedesmal. Von überall auf der Welt rufst du mich an, um mir das zu sagen. Immer, wenn du diese Phase erreicht hast. Sie werden sich gegen mich wenden, sie werden mir auf die Schliche kommen. Und was passiert? Ein paar Stunden später rufst du wieder an, und du bist ganz ruhig und völlig zufrieden mit dir. Ich frage dich, wie alles gelaufen ist, und du klingst einigermaßen überrascht, daß ich so etwas überhaupt frage. ›Ach, es lief ausgezeichnet‹, sagst du. Immer sagst du so etwas in der Art, und dann gehst du zu anderen Dingen über, als wäre es das alles gar nicht wert, daß man darüber spricht...«
    »Also, Moment mal. Was willst du denn damit sagen? Was sind das denn für Anrufe? Weißt du überhaupt, wieviel Mühe es mich kostet, dich so anrufen zu können? Manchmal bin ich irrsinnig beschäftigt, aber trotzdem finde ich ein paar Minuten in meinem Terminplan, um anzurufen, einfach nur, um zu schauen, ob es dir gutgeht. Und meistens bist du es doch, die all ihre Probleme bei mir ablädt. Was willst du denn damit sagen, daß ich immer so rede...«
    »Es hat doch gar keinen Zweck, das jetzt alles zu erörtern. Was ich sagen will, ist doch nur, daß heute abend alles gutgehen wird... »Du hast wirklich gut reden. Du bist genau wie alle anderen.
    Du hältst das alles einfach für selbstverständlich. Du denkst, ich brauche bloß zu erscheinen, und alles andere wird schon irgendwie gehen...« Plötzlich fiel mir Gustav ein, der auf seiner Matratze in der unmöblierten Garderobe lag, und ich brach unvermittelt ab.
    »Was ist los?« fragte Sophie.
    Ich brauchte noch einen Augenblick, um mich zu sammeln. Dann sagte ich:
    »Hör mal. Da ist etwas, das ich dir sagen wollte. Ich habe schlechte Nachrichten. Es tut mir leid.«
    Sophie schwieg am anderen Ende der Leitung.
    »Es geht um deinen Vater«, sagte ich. »Er ist plötzlich krank geworden. Er ist im Konzertsaal. Du mußt sofort kommen.«
    Ich hielt wieder inne, aber immer noch sagte Sophie nichts.
    »Er hält sich sehr tapfer«, fuhr ich nach einer Weile fort. »Aber du mußt jetzt sofort kommen. Und Boris auch. Deshalb rufe ich überhaupt an. Ich habe einen Wagen. Ich bin auf dem Weg und hole euch beide jetzt ab.«
    Am anderen Ende der Leitung entstand eine mir sehr lang vorkommende Pause. Dann sagte Sophie:
    »Das wegen gestern abend tut mir sehr leid. Ich meine, das in der Galerie Karwinsky.« Sie brach ab, und ich dachte, sie wolle wieder in Schweigen verfallen. Aber dann fuhr sie fort: »Ich habe eine erbärmliche Figur gemacht. Du brauchst mir gar nichts vorzumachen. Ich weiß, es war erbärmlich. Ich weiß nicht genau, wieso, ich bin in solchen Situationen nie gut. Damit muß ich mich eben einfach abfinden. Ich werde nie mit dir von Stadt zu Stadt reisen und dich bei solchen Gelegenheiten begleiten können. Das liegt mir einfach nicht. Tut mir leid.«
    »Aber das ist doch völlig unwichtig«, sagte ich sanft. »Das mit der Galerie gestern hatte ich schon vollkommen vergessen. Wen interessiert es schon, was für einen Eindruck du auf solche Leute machst? Das waren schreckliche Leute, alle, wie sie da waren. Und du warst bei weitem die attraktivste Frau dort.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie und lachte plötzlich auf. »Ich bin doch jetzt schon

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