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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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redete anfangs nur mich an.
    »Er hält sich sehr tapfer, Mr. Ryder. Er hält sich wirklich sehr tapfer.« Dann wandte er sich an Sophie und flüsterte, indem er die Stimme senkte: »Er hält sich sehr tapfer, Fräulein Sophie.«
    Zunächst antwortete Sophie nicht, sondern starrte einfach nur an den Hoteldienern vorbei auf die Stelle, an der die Tür der Garderobe ein wenig offenstand. Dann sagte sie plötzlich, wie um ihre Anwesenheit zu rechtfertigen:
    »Ich habe ihm etwas mitgebracht. Hier« – sie hob das Paket hoch -, »ich habe das hier für ihn mitgebracht.«
    Jemand rief in die Garderobe hinein, und zwei weitere Hoteldiener, die drinnen gewesen waren, erschienen auf der Türschwelle. Sophie regte sich nicht, und einen Moment lang schien niemand zu wissen, was als nächstes gesagt oder getan werden sollte. Dann stellte sich Boris vor uns auf, seine schwarze Tasche hatte er vor sich in die Luft gehoben.
    »Bitte, meine Herren«, sagte er. »Treten Sie zur Seite, bitte. Dorthin, bitte.«
    Er winkte die Hoteldiener von der Tür fort. Die beiden Männer auf der Türschwelle blieben, wo sie waren, und schauten amüsiert drein, und Boris bedachte sie mit ungeduldigen Gesten. »Meine Herren! Hier hinüber, bitte!«
    Nachdem er vor der Garderobe ausreichend Platz geschaffen hatte, schaute sich Boris nach seiner Mutter um. Sophie trat ein paar Schritte weiter vor und blieb dann wieder stehen. Sie starrte auf die Tür – die beiden Hoteldiener hatten sie halb offengelassen -, und in ihrem Blick lag Besorgnis. Wieder wußte niemand, was jetzt zu tun war, und wieder war es Boris, der das Schweigen brach.
    »Bitte warte hier, Mutter«, sagte er, und damit drehte er sich um und verschwand in der Garderobe.
    Sophie entspannte sich sichtlich. Sie trat ein paar Schritte vor und beugte sich beinahe lässig nach vorn, um zu sehen, ob sie erkennen konnte, was in dem Raum vor sich ging. Als sie feststellte, daß Boris die Tür hinter sich praktisch zugeschlagen hatte, richtete sie sich auf und stand abwartend da wie in der Schlange an einer Bushaltestelle, ihr Paket hing über den gefalteten Armen.
    Nach ein paar Minuten kam Boris wieder heraus. Er hielt immer noch seine Arzttasche in der Hand, und vorsichtig schloß er die Tür hinter sich.
    »Großvater sagt, er freut sich sehr, daß wir gekommen sind«, sagte er leise und schaute seine Mutter an. »Er freut sich wirklich sehr.«
    Er schaute seiner Mutter immer weiter ins Gesicht, und zuerst war ich etwas verwirrt über die Art und Weise, wie er das tat. Dann merkte ich, er wartete darauf, daß Sophie ihm eine Botschaft mit auf den Weg gab, die er Gustav ausrichten könnte, und tatsächlich sagte Sophie nach kurzer Überlegung:
    »Sag ihm, ich habe ihm etwas mitgebracht. Ein Geschenk. Und daß ich es ihm gleich hineinbringe. Ich... ich muß es erst noch fertigmachen.«
    Als Boris wieder in der Garderobe verschwunden war, legte sich Sophie den Mantel über den einen Arm und fing an, die Kniffe in der braunen Verpackung zu glätten. Vielleicht hing es mit der eklatanten Sinnlosigkeit dieser Handlung zusammen, jedenfalls fielen mir in dem Moment plötzlich die vielen Dinge ein, die ich noch zu erledigen hatte. So erinnerte ich mich zum Beispiel daran, daß ich immer noch den Saal inspizieren mußte und daß meine Chancen, das in nutzbringender Weise tun zu können, mit jeder Minute schwanden.
    »Ich bin gleich wieder zurück«, sagte ich zu Sophie. »Da gibt es etwas, um das ich mich kümmern muß.«
    Sie beschäftigte sich weiter mit ihrem Paket und antwortete nicht. Ich war schon drauf und dran, alles noch etwas lauter zu wiederholen, doch dann wollte ich diese Art unangebrachter Aufmerksamkeit lieber nicht auf mich lenken, eilte unauffällig davon und machte mich auf die Suche nach Hoffman.

ZWEIUNDDREISSIG
    Ich war den Korridor ein Stück weit hinuntergegangen, als ich eine Art Tumult vor mir bemerkte. Etwa ein Dutzend Leute drängten schreiend und gestikulierend vorwärts, und mein erster Gedanke war, daß in der wachsenden Anspannung ein Streit unter dem Küchenpersonal ausgebrochen war. Doch dann sah ich, daß sich die Menge langsam auf mich zubewegte und daß sie aus einer merkwürdigen Mischung von Menschen bestand. Einige waren in kompletter Abendgarderobe, während andere – in Anoraks, Regenmänteln und Jeans – direkt von der Straße hereingekommen zu sein schienen. Ein paar Orchestermitglieder hatten sich ebenfalls zu der Gruppe gesellt.
    Einer der Männer, die am

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