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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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war, durch die ich vorher das Gebäude betreten hatte, stieg ich aus und ging schnell darauf zu. Als ich zurückschaute, half Boris seiner Mutter gerade aus dem Wagen. Er bestand darauf, eine Hand schützend hinter ihr zu halten, während die beiden rasch auf das Gebäude zukamen, und die Arzttasche, die er mit der anderen Hand umklammerte, schlug ihm dabei ungeschickt gegen die Beine.
    Durch die Tür gelangten wir in den langen, kreisförmigen Korridor, und fast sofort mußten wir einem Servierwagen Platz machen, den zwei Männer schoben. Es schien um etliches wärmer zu sein als vorhin – es war jetzt spürbar stickig -, doch dann sah ich zwei Musiker in Abendkleidung, die bei einer Tür freundlich miteinander plauderten, und merkte voller Erleichterung, daß wir nicht weit weg von der Stelle hereingekommen waren, an der ich mich von Gustav getrennt hatte.
    Während ich voranging, füllte sich der Korridor mit immer mehr Musikern. Die meisten hatten sich inzwischen für das Konzert umgezogen, doch ihre Stimmung schien immer noch heiter und ausgelassen. Ihr Gelächter und ihr Geschrei über den Korridor hinweg hatten noch zugenommen, und einmal wären wir beinahe mit einem Mann zusammengestoßen, der aus einer Garderobe kam und mit einem Cello posierte, als wäre es eine Gitarre. Dann sagte jemand:
    »Ach, Sie sind doch Mr. Ryder, nicht? Wir sind uns schon einmal begegnet, wissen Sie noch?«
    Vier oder fünf Männer in einer Gruppe, die uns über den Korridor entgegenkamen, waren stehengeblieben und schauten uns an. Sie trugen komplette Abendgarderobe, und ich sah sofort, daß sie alle betrunken waren. Der Mann, der gesprochen hatte, hielt einen Strauß Rosen in der Hand und schwenkte ihn achtlos, während er auf mich zukam.
    »Im Kino neulich abends«, sagte er. »Herr Pedersen hat uns bekannt gemacht. Guten Abend, Mr. Ryder. Meine Freunde haben mir gesagt, daß ich mich ziemlich schändlich benommen habe und mich bei Ihnen entschuldigen muß.«
    »Ach richtig«, sagte ich, als ich den Mann erkannte. »Guten Abend. Schön, Sie zu sehen. Leider muß ich gerade jetzt etwas sehr Dringendes...«
    »Ich hoffe, ich war nicht allzu ungehobelt«, sagte der Betrunkene und trat genau vor mich, bis sein Gesicht beinahe meines berührte. »Es ist nie meine Absicht, ungehobelt zu sein.«
    Seine Gefährten gaben Laute unterdrückter Heiterkeit von sich.
    »Nein, Sie sind keineswegs ungehobelt gewesen«, erwiderte ich. »Aber gerade im Moment, entschuldigen Sie bitte...«
    »Wir waren eben«, sagte der Betrunkene, »auf der Suche nach dem Maestro. Nein, nein, nicht nach Ihnen, Mr. Ryder. Nach unserem ureigenen Maestro. Wir haben ihm Blumen mitgebracht, sehen Sie? Als Zeichen unserer großen Hochachtung. Haben Sie eine Ahnung, wo wir ihn finden können, Mr. Ryder?«
    »Das weiß ich leider nicht. Ich... ich glaube kaum, daß Sie Mr. Brodsky jetzt schon hier im Gebäude finden werden.«
    »Nein? Er ist noch nicht hier?« Der Betrunkene drehte sich zu seinen Gefährten um. »Unser Maestro ist noch nicht hier. Was soll man davon nur halten?« Dann wandte er sich wieder mir zu: »Wir haben ihm Blumen mitgebracht.« Wieder schüttelte er den Strauß, und ein Paar Blütenblätter fielen zu Boden. »Als Zeichen der Zuneigung und der Hochachtung des Stadtrats. Und als Zeichen der Entschuldigung. Natürlich. Wir haben ihn so lange Zeit nicht richtig verstanden.« Von seinen Gefährten kamen weitere Geräusche unterdrückten Gelächters. »Er ist noch nicht hier. Unser ureigener geliebter Maestro. Tja, dann vertreiben wir uns wohl lieber noch ein bißchen die Zeit mit den Musikern. Oder vielleicht gehen wir auch in die Bar zurück. Was meint ihr, Freunde?«
    Ich merkte, daß Sophie und Boris das Ganze mit wachsender Ungeduld beobachteten.
    »Entschuldigen Sie mich«, sagte ich und ging weiter. Die Männer hinter uns brachen wieder in ersticktes Gelächter aus, aber ich beschloß, nicht zurückzuschauen.
    Schließlich wurde es um uns ruhiger, und dann sahen wir vor uns das Ende des Korridors und die Hoteldiener, die sich draußen vor der letzten Garderobe versammelt hatten. Sophie ging schneller, blieb dann aber stehen, als wir noch ein ganzes Stück von der Garderobe entfernt waren. Die Hoteldiener ihrerseits, denen unser Näherkommen nicht entgangen war, hatten rasch eine Gasse gebildet, und einer von ihnen – ein drahtiger Mann mit Schnurrbart, den ich vom Ungarischen Café her erkannte -, kam auf uns zu. Er sah etwas unsicher aus und

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