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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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schnell: »O nein, das ist nur sein Lieblingsfußballspieler.«
    »Ach ja? Ich sehe viel Fußball. Im Fernsehen, meine ich.« Er beugte sich zu Boris vor. »Welche Nummer Neun ist es denn?«
    »Oh, einfach nur sein Lieblingsspieler«, sagte ich wieder.
    »Was Mittelstürmer angeht«, fuhr Geoffrey Saunders fort, »da mag ich am liebsten diesen Holländer, spielt für Mailand. Der ist wirklich klasse.«
    Ich wollte gerade noch etwas sagen, um das mit der Nummer Neun zu erklären, doch in dem Augenblick blieben wir stehen. Da sah ich dann, daß wir am Rand einer riesigen Grasfläche angekommen waren. Wie groß das Feld genau war, konnte ich nicht abschätzen, doch ich nahm an, daß es sich sehr viel weiter hinstreckte, als wir im Mondlicht sehen konnten. Ein kräftiger Wind fegte über das Gras und in die Dunkelheit hinein.
    »Wir scheinen uns verirrt zu haben«, sagte ich zu Geoffrey Saunders. »Kennst du dich hier aus?«
    »O ja. Ich wohne nicht weit von hier. Leider kann ich dich im Moment nicht zu mir einladen, weil ich sehr müde bin und ins Bett muß. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn du morgen kommen könntest. Sagen wir doch einfach, irgendwann nach neun Uhr.«
    Ich schaute über das Feld hinweg und in das Dunkel hinein.
    »Um ehrlich zu sein, wir haben da ein kleines Problem im Moment«, sagte ich. »Weißt du, wir waren auf dem Weg zur Wohnung dieser Frau, der wir vorhin gefolgt sind. Jetzt haben wir uns ziemlich verlaufen, und ich kenne ihre Adresse nicht. Sie sagte etwas davon, daß sie in der Nähe einer mittelalterlichen Kapelle wohnt.«
    »Die mittelalterliche Kapelle? Die ist im Stadtzentrum.«
    »Aha. Und kommen wir da hin, wenn wir hier weitergehen?« Ich deutete über das Feld.
    »O nein, dahinten ist gar nichts mehr. Nichts als Leere. Da lebt nur einer, und zwar dieser Brodsky.«
    »Brodsky«, sagte ich. »Hhm. Ich habe ihn heute im Hotel üben gehört. Diesen Brodsky scheint ihr ja hier in der Stadt alle zu kennen.«
    Geoffrey Saunders warf mir einen Blick zu, der mich vermuten ließ, daß ich etwas ganz Dummes gesagt hatte.
    »Na ja, schließlich lebt er schon seit vielen Jahren hier. Weshalb sollten wir ihn da nicht kennen?«
    »Ja, ja, natürlich.«
    »Kaum zu glauben, daß der verrückte Alte es sich in den Kopf gesetzt hat, den Taktstock zu schwingen. Aber ich will einfach mal abwarten. Viel schlimmer kann es schon gar nicht mehr kommen. Und wenn du dann noch so große Stücke auf Brodsky hältst, was kann ich dann schon dagegen sagen?«
    Mir fiel nichts ein, was ich darauf hätte antworten können. Da hatte sich Geoffrey Saunders aber auch schon plötzlich von dem Feld weggedreht und sagte:
    »Nein, nein, die Stadt ist in der Richtung. Ich kann euch auf den Weg bringen, wenn ihr wollt.«
    »Wir wären dir sehr dankbar«, erwiderte ich, während uns ein eisiger Wind entgegenschlug.
    »Na gut.« Geoffrey Saunders überlegte einen Moment. Dann sagte er: »Um ehrlich zu sein, es wäre wohl am besten, ihr würdet einen Bus nehmen. Von hier aus würdet ihr zu Fuß eine gute halbe Stunde brauchen. Vielleicht hat die Frau dir einreden wollen, ihre Wohnung wäre ganz in der Nähe. Tja, das machen sie immer so. Das ist einer ihrer Tricks. Denen solltest du nie glauben. Aber es ist kein Problem, wenn ihr den Bus nehmt. Ich zeige euch, wo die Haltestelle ist.«
    »Wir wären dir sehr dankbar«, sagte ich wieder. »Boris wird es allmählich kalt. Ich hoffe, die Bushaltestelle ist ganz in der Nähe.«
    »O ja, sicher. Folge mir einfach nur.«
    Geoffrey Saunders drehte sich um und führte uns zurück in Richtung des verlassenen Bauernhofes. Doch schnell war ich überzeugt, daß wir nicht denselben Weg zurückgingen, und tatsächlich befanden wir uns sehr bald schon auf einer schmalen Straße, die in einem Stadtteil zu liegen schien, der alles andere als wohlhabend war. Kleine Reihenhäuschen standen zu beiden Seiten der Straße. Hier und da sah ich Lichter in den Fenstern, aber die meisten Bewohner schienen schon zu Bett gegangen zu sein.
    »Alles in Ordnung«, sagte ich leise zu Boris, der, wie ich spüren konnte, am Rand der Erschöpfung war. »Wir werden jetzt bald in der Wohnung sein. Bis wir da sind, wird deine Mutter schon alles für uns fertig haben.«
    Wir gingen eine Weile an weiteren Häuserblocks vorbei. Dann fing Boris wieder an, vor sich hin zu murmeln:
    »Nummer Neun... Es ist die Nummer Neun...«
    »Also hör mal, welche Nummer Neun meinst du denn?« fragte Geoffrey Saunders und wandte

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