Die Ungetroesteten
das man auch in England mieten könnte. Das heißt, bis vor ein paar Jahren mieten konnte. Deshalb habe ich es auch genommen. Es hat mich an zu Hause erinnert. Na jedenfalls, wir können am Kamin sitzen und über alles reden. Die Lehrer, die Jungs, können uns Neues von gemeinsamen Freunden erzählen, mit denen wir noch in Kontakt sind. Ah, da wären wir ja.«
Wir waren zu einer Stelle gelangt, die wie ein kleiner Dorfplatz aussah. Es gab einige kleine Läden – in denen höchstwahrscheinlich die Bewohner dieses Viertels ihre Lebensmittel kauften -, alle waren geschlossen und zur Nacht vergittert. In der Mitte des Platzes befand sich ein Fleckchen Grün, das nicht viel größer war als eine Verkehrsinsel. Geoffrey Saunders deutete auf eine einsame Straßenlaterne vor den Läden.
»Du und dein Junge, ihr wartet am besten dort drüben. Ich weiß, da ist kein Schild, aber nur keine Sorge, es ist eine ganz normale Bushaltestelle. Und jetzt muß ich euch leider verlassen.«
Boris und ich starrten auf die Stelle, auf die er gedeutet hatte. Es regnete nicht mehr, doch unten um den Laternenpfahl waberte der Nebel. Nichts rührte sich um uns her.
»Bist du auch sicher, daß hier ein Bus hält?« fragte ich.
»Aber ja. Gut, um diese Tageszeit muß man ein bißchen warten. Aber am Ende kommt er ganz bestimmt. Du mußt nur Geduld haben, das ist alles. Es wird euch vielleicht ein bißchen kalt werden, während ihr hier wartet, aber glaube mir, der Bus ist das Warten wert. Er wird aus der Dunkelheit auftauchen und ganz hell erleuchtet sein. Und wenn ihr erst einmal eingestiegen seid, werdet ihr feststellen, daß es dort drin warm und gemütlich ist. Und in diesem Bus sitzen immer die fröhlichsten Leute. Sie lachen und machen Witze, reichen sich heiße Getränke und Kleinigkeiten zu essen. Sie werden dich und deinen Jungen herzlich aufnehmen. Sag einfach nur dem Fahrer, er soll euch bei der mittelalterlichen Kapelle rauslassen. Mit dem Bus ist es wirklich nicht weit.«
Geoffrey Saunders sagte uns gute Nacht, dann drehte er sich um und ging davon. Boris und ich sahen, wie er in einer kleinen Gasse zwischen zwei Häusern verschwand, und dann machten wir uns auf den Weg zur Bushaltestelle.
FÜNF
Wir standen einige Minuten lang unter der Straßenlaterne, um uns nichts als Stille. Schließlich legte ich meinen Arm um Boris und sagte: »Dir ist doch bestimmt kalt.«
Er drängte sich an mich, sagte aber nichts, und als ich zu ihm hinunterschaute, sah ich, daß er ganz gedankenverloren die düstere Straße hinunterstarrte. Irgendwo in der Ferne fing ein Hund an zu bellen und hörte dann auf. Als wir eine ganze Weile so dagestanden hatten, sagte ich:
»Tut mir leid, Boris. Ich hätte das alles besser regeln sollen. Tut mir wirklich leid.«
Der kleine Junge schwieg einen Moment, dann antwortete er: »Nur keine Angst. Der Bus wird bald kommen.«
Auf der anderen Seite des Platzes sah ich vor der kleinen Reihe mit Läden Nebelschwaden vorbeiziehen.
»Ich weiß nicht genau, ob wirklich ein Bus kommen wird«, sagte ich schließlich.
»Keine Bange. Du mußt einfach nur Geduld haben.«
Wir warteten noch eine Weile. Dann sagte ich wieder:
»Ich weiß aber wirklich nicht, ob hier überhaupt ein Bus kommen wird.«
Der kleine Junge drehte sich zu mir um und seufzte gequält. »Hör doch auf, dir Sorgen zu machen«, sagte er. »Hast du denn nicht gehört, was der Mann gesagt hat? Wir müssen einfach nur warten.«
»Ach, Boris. Manchmal kommt es im Leben nicht so, wie man das erwartet. Selbst wenn es dir jemand gesagt hat.«
Boris seufzte wieder. »Aber der Mann hat es doch gesagt, oder? Außerdem wird Mutter schon auf uns warten.«
Ich überlegte noch, was ich darauf sagen könnte, als sich ganz in unserer Nähe jemand räusperte, so daß wir beide zusammenschraken. Ich drehte mich um und sah, daß sich genau in dem Licht, das die Straßenlaterne warf, jemand aus einem haltenden Auto herausbeugte.
»Guten Abend, Mr. Ryder. Entschuldigen Sie, aber ich fuhr gerade vorbei und habe Sie da stehen sehen. Ist alles in Ordnung?«
Ich ging ein paar Schritte in Richtung Auto und erkannte Stephan, den Sohn des Hoteldirektors.
»O ja«, sagte ich. »Alles in Ordnung, danke. Wir... äh, wir warten hier auf einen Bus.«
»Vielleicht kann ich Sie mitnehmen. Ich war gerade auf dem Weg zu jemandem, und zwar in einer recht heiklen Mission, mit der Vater mich betraut hat. Hören Sie mal, es ist doch ziemlich kalt da draußen, wieso steigen Sie
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