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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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nicht ein?«
    Der junge Mann stieg aus und öffnete Vorder- und Hintertür auf der Beifahrerseite. Ich dankte ihm, half Boris, hinten einzusteigen, und setzte mich nach vorn. Sofort setzte sich das Auto in Bewegung.
    »Das ist also Ihr Junge«, sagte Stephan, während wir durch verlassene Straßen rasten. »Wie nett, ihn kennenzulernen, obwohl er ja im Moment etwas erschöpft aussieht. Na ja, soll er sich ausruhen. Ich mache mich dann ein andermal mit ihm bekannt.«
    Ich schaute nach hinten und sah, daß Boris dabei war einzuschlafen, den Kopf hatte er an die gepolsterte Armlehne gelegt.
    »Also, Mr. Ryder«, fuhr Stephan fort, »ich nehme an, Sie wollen ins Hotel zurück.«
    »Eigentlich waren Boris und ich auf dem Weg in die Wohnung von jemandem. In der Stadtmitte, in der Nähe der mittelalterlichen Kapelle.«
    »Der mittelalterlichen Kapelle? Hhm.«
    »Macht das große Umstände?«
    »Ach nein, eigentlich nicht. Nein, nein, keineswegs.« Stephan machte eine scharfe Kurve und bog in eine weitere enge, düstere Straße. »Es ist nur so, tja also, wie ich schon sagte, ich war gerade selber auf dem Weg zu jemandem. Zu einer Verabredung. Wollen mal sehen...«
    »Und das ist eine dringende Verabredung?«
    »Also eigentlich, Mr. Ryder, ist die Sache sehr dringend. Es hat mit Mr. Brodsky zu tun, wissen Sie. Also tatsächlich ist das Ganze recht heikel. Hhm. Ich überlege gerade, ob Sie und Boris vielleicht so freundlich wären, ein paar Minuten zu warten, während ich mich um die Angelegenheit kümmere, und hinterher könnte ich Sie dann hinfahren, wohin Sie möchten.«
    »Selbstverständlich müssen Sie sich erst um Ihre Angelegenheiten kümmern. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn es nicht ganz so lange dauern würde. Wissen Sie, Boris hat noch nicht zu Abend gegessen.«
    »Ich mache, so schnell ich kann, Mr. Ryder. Ich wünschte nur, ich könnte Sie sofort in die Stadt bringen, aber verstehen Sie bitte, ich möchte auf keinen Fall zu spät kommen. Wie gesagt, es ist eine recht schwierige kleine Mission...«
    »Natürlich, darum müssen Sie sich zuallererst kümmern. Wir warten gern, das macht uns nichts aus.«
    »Ich will versuchen, es so schnell wie möglich zu erledigen. Aber um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, daß ich die Sache allzusehr beschleunigen kann. Es ist eine Angelegenheit, die Vater normalerweise selbst in die Hand nehmen oder einem der anderen Herren übertragen würde, aber, nun ja, es ist wohl so, daß Miss Collins immer schon eine gewisse Schwäche für mich gehabt hat...« Der junge Mann war auf einmal ganz verlegen und brach ab. Dann sagte er: »Ich will versuchen, mich zu beeilen.«
    Wir fuhren jetzt durch eine angenehmere Gegend – schon mehr in Richtung Stadtmitte, wie ich vermutete. Die Straßenbeleuchtung war besser, und ich bemerkte, daß neben uns Straßenbahngleise verliefen. Hier und da sah man Cafés oder Restaurants, die zur Nacht geschlossen hatten, doch das Viertel bestand hauptsächlich aus repräsentativen Wohnhäusern. Die Fenster waren alle dunkel, und unser Wagen schien weit und breit das einzige zu sein, das die Stille störte. Schweigend fuhr Stephan Hoffman ein paar Minuten lang weiter. Dann sagte er plötzlich, als habe er sich die Worte sorgfältig zurechtgelegt:
    »Also, es ist bestimmt sehr unverschämt von mir. Aber sind Sie wirklich sicher, daß Sie nicht doch ins Hotel zurückmöchten? Ich meine, es ist ja nur wegen all der Reporter, die dort auf Sie warten.«
    »Reporter?« Ich sah in die Nacht hinaus. »Ach ja. Die Reporter.«
    »Du meine Güte, ich hoffe, Sie halten mich jetzt nicht für anmaßend. Es ist nur so, daß ich sie alle gesehen habe, als ich das Hotel verließ. Sie saßen in der Halle mit ihren Mappen und Aktentaschen auf dem Schoß und haben so ausgesehen, als seien sie sehr nervös bei dem Gedanken, Ihnen zu begegnen. Wie gesagt, es geht mich natürlich nichts an, und Sie haben sicher alles im Griff, davon bin ich überzeugt.«
    »Ja, ja, natürlich«, sagte ich leise und schaute wieder aus dem Fenster hinaus.
    Stephan schwieg jetzt, sicher hatte er beschlossen, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Aber nun mußte ich an die Reporter denken, und nach einer Weile glaubte ich, mich wohl an solch einen Termin zu erinnern. Das Bild, das der junge Mann wachgerufen hatte, die Vorstellung von Leuten, die mit Mappen und Aktentaschen dasaßen, sagte mir durchaus etwas. Doch schließlich konnte ich mich nicht mit Bestimmtheit daran erinnern, einen

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