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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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genau, wann ich wieder einmal ein paar Minuten Zeit habe, aber sobald es geht, rufe ich bei der Rezeption an und lasse Sie suchen. Wenn Sie dann nicht im Hotel sind, versuche ich es einfach noch einmal, wenn ich wieder etwas Zeit habe, und so weiter. Auf diese Weise können wir uns bestimmt bald auf einen Termin einigen, der uns beiden paßt. Aber heute abend muß ich wirklich, wenn Sie nichts dagegen haben, so früh wie möglich ins Bett und mich einmal richtig ausschlafen.«
    »Natürlich, Mr. Ryder, ich verstehe. Also machen wir es doch so, wie Sie es vorgeschlagen haben. Es ist wirklich sehr, sehr freundlich von Ihnen. Ich warte dann, bis Sie mir Bescheid geben.«
    Stephan hatte in sehr höflichem Ton gesprochen, doch er schien über Gebühr enttäuscht zu sein, hatte meine Antwort vielleicht sogar als unterschwellige Ablehnung mißverstanden. Offensichtlich war er wegen seines bevorstehenden Auftrittes in einem Zustand derartiger Nervosität, daß jede auch noch so winzige Zurückweisung nackte Panik bei ihm auslösen mußte. Ich konnte mit ihm fühlen und sagte noch einmal beruhigend:
    »Nur keine Sorge, wir werden schon sehr bald die Gelegenheit finden.«
    Unverändert regnete es weiter, während wir durch die nächtlichen Straßen fuhren. Der junge Mann sagte eine ganze Weile kein Wort, und ich fragte mich, ob er wohl sehr wütend auf mich war. Aber dann sah ich sein Profil in dem mal schwachen, mal stärkeren Licht und begriff, daß ihm eine ganz bestimmte Episode im Kopf herumging, die sich vor einigen Jahren zugetragen hatte. Es war eine Episode, über die er zuvor schon viele Male nachgegrübelt hatte – oft, wenn er nachts wachlag oder allein Auto fuhr -, und jetzt hatte seine Angst, ich würde ihm vielleicht nicht helfen können, dazu geführt, daß die Sache ihm erneut in den Sinn kam.
    Es war am Geburtstag seiner Mutter gewesen. Als er seinen Wagen an dem Abend in der vertrauten Auffahrt geparkt hatte – es war während der Zeit, als er in Deutschland auf die Universität ging -, hatte er sich innerlich auf einige qualvolle Stunden eingestellt. Doch sein Vater hatte ihm die Tür geöffnet und aufgeregt geflüstert: »Sie ist guter Stimmung. Wirklich sehr guter Stimmung.« Dann hatte sich sein Vater umgedreht und ins Haus hineingerufen: »Stephan ist hier, Liebes. Ein bißchen spät, aber nun ist er hier.« Dann wieder flüsternd: »In sehr guter Stimmung. So gut wie schon lange nicht mehr.«
    Der junge Mann war ins Wohnzimmer gegangen und hatte seine Mutter in ein Sofa zurückgelehnt gesehen, mit einem Cocktailglas in der Hand. Sie trug ein neues Kleid, und Stephan hatte wieder einmal feststellen können, was für eine elegante Frau seine Mutter doch war. Sie war nicht aufgestanden, um ihn zu begrüßen, und so mußte er sich hinunterbeugen, um ihr die Wange zu küssen, dennoch überraschte ihn ihre warmherzige Art, als sie ihn aufforderte, sich in den Sessel ihr gegenüber zu setzen. Sein Vater hinter ihm, der höchst zufrieden mit dem Beginn dieses Abends war, hatte ein leises Lachen hören lassen, und dann hatte er auf die Schürze gedeutet, die er trug, und war zurück in Richtung Küche geeilt.
    Als Stephan nun mit seiner Mutter allein war, hatte er als erstes ein Gefühl schieren Entsetzens verspürt – Entsetzen darüber, daß er irgend etwas sagen oder tun könnte, was ihre gute Stimmung erschüttern würde, wodurch stunden-, vielleicht tagelange sorgfältigste Vorbereitungen seines Vaters zunichte gemacht wären. So hatte er zunächst nur kurze, gestelzte Antworten auf ihre Fragen nach seinem Universitätsleben gegeben, aber als ihre Haltung freundlich und aufgeschlossen blieb, hatte er sich bald immer ausführlicher antworten gehört. Einmal hatte er einen Professor beschrieben, indem er ihn als »emotional ausgeglichene Ausgabe unseres Außenministers« bezeichnet hatte – eine Formulierung, auf die er besonders stolz war und die er seinen Kommilitonen gegenüber oftmals mit beträchtlichem Erfolg benutzt hatte. Wäre die vorausgegangene Konversation mit seiner Mutter nicht so gut verlaufen, hätte er es nicht gewagt, diese Formulierung vor ihr zu wiederholen. Doch er hatte es getan, und sein Herz schlug heftig vor Freude, als er sah, daß das Gesicht der Mutter vor Vergnügen kurz aufleuchtete. Aber trotz allem war er in gewisser Weise erleichtert, als sein Vater zurückkam und sie zum Abendessen bat.
    Sie waren ins Eßzimmer gegangen, wo der Hoteldirektor den ersten Gang aufgetragen

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