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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Fenster erleuchtet. Nach einer Weile sagte ich: »Wir müssen jetzt mal gut nachdenken, Boris. Hörst du mir zu?«
    Im Fond des Wagens herrschte Schweigen.
    »Also, Boris«, fuhr ich fort, »wir müssen jetzt eine Entscheidung treffen. Ich weiß, daß wir vorhin auf dem Weg zur Wohnung deiner Mutter gewesen sind. Aber jetzt ist es schon sehr spät. Hörst du mir zu, Boris?«
    Ich schaute über die Schulter zurück und sah, daß er immer noch mit leerem Blick in die Dunkelheit starrte. Ein paar Minuten lang saßen wir da, ohne ein Wort zu sprechen. Dann sagte ich:
    »Also, Tatsache ist, daß es jetzt schon sehr spät ist. Wenn wir zum Hotel zurückfahren würden, könntest du deinen Großvater besuchen. Er würde sich sehr freuen, dich zu sehen. Du könntest ein eigenes Zimmer bekommen, oder wenn dir das lieber ist, könnten wir ein zusätzliches Bett für dich in mein Zimmer stellen lassen. Wir könnten etwas Gutes zu essen heraufbringen lassen, dann könntest du dich schlafen legen. Und morgen früh stehen wir dann zum Frühstück auf und überlegen, was wir weiter tun.«
    Hinter mir war nur Schweigen.
    »Ich hätte das alles besser regeln sollen«, sagte ich. »Tut mir leid. Ich... ich habe heute abend nicht klar denken können. Es ist so viel passiert heute. Aber schau, ich verspreche dir, das wird morgen alles ganz anders. Wir können morgen alles mögliche unternehmen. Wenn du willst, gehen wir zurück in die alte Wohnung und holen Nummer Neun. Was sagst du dazu?«
    Boris sagte immer noch nichts.
    »Wir hatten beide einen anstrengenden Tag heute. Was sagst du dazu, Boris?«
    »Wir fahren wohl besser ins Hotel.«
    »Ich glaube, das ist die beste Lösung. So, das wäre also abgemacht. Wenn der Herr zurückkommt, teilen wir ihm unseren neuen Plan mit.«

SECHS
    Genau in dem Augenblick nahm ich eine Bewegung wahr, und als ich mich wieder zu dem Haus umschaute, sah ich, daß die Haustür offenstand. Miss Collins war dabei, Stephan zu verabschieden, und obwohl sie recht freundschaftlich auseinandergingen, deutete etwas in ihrer beider Verhalten darauf hin, daß ihr Treffen letztlich doch nicht so angenehm geendet hatte.
    »Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat«, sagte er und setzte sich ins Auto. »Ich hoffe, mit Boris ist alles in Ordnung.« Er legte die Hände um das Lenkrad und seufzte besorgt. Dann zwang er sich zu einem Lächeln und sagte: »Also, dann wollen wir mal.«
    »Also eigentlich«, sagte ich, »haben Boris und ich uns mal unterhalten, während Sie weg waren. Wir glauben, daß wir doch lieber ins Hotel zurückfahren sollten.«
    »Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Mr. Ryder, ich finde, das ist eine sehr gute Entscheidung. Also zurück ins Hotel. Wunderbar.« Er schaute auf die Uhr. »Wir sind im Handumdrehen da. Die Reporter werden kaum Grund haben, sich zu beschweren. Wirklich überhaupt keinen Grund.«
    Stephan ließ den Motor an, und wir machten uns erneut auf den Weg. Während wir durch die verlassenen Straßen fuhren, fing es wieder an zu regnen, und Stephan schaltete die Scheibenwischer an. Nach einer Weile sagte er:
    »Ich überlege gerade, Mr. Ryder, ob ich wohl so unverschämt sein und Sie an unsere Unterhaltung von vorhin erinnern darf. Sie wissen schon, als ich Sie heute nachmittag im Atrium getroffen hatte.«
    »Ach ja«, sagte ich. »Ja, wir haben uns über Ihren Auftritt am Donnerstag abend unterhalten.«
    »Sie waren so freundlich und hatten sich bereit erklärt, mir ein paar Minuten Ihrer Zeit zu schenken. Und zuzuhören, wenn ich den La Roche einmal durchspiele. Natürlich, das ist wahrscheinlich völlig unmöglich, aber, na ja, ich dachte, ich kann ja wenigstens einmal fragen. Es ist so, daß ich heute abend noch ein wenig üben wollte, wenn wir wieder im Hotel sind. Und jetzt wollte ich fragen, ob Sie, wenn Sie mit den Reportern fertig sind, ich weiß, das ist alles sehr lästig, aber ob Sie vielleicht wenigstens ein paar Minuten zuhören könnten und mir dann sagen würden, was Sie davon halten...« Mit einem Auflachen brach er ab.
    Ich begriff, daß die ganze Angelegenheit für den jungen Mann ungeheuer wichtig war, und war schon in Versuchung, seiner Bitte nachzukommen. Dennoch sagte ich nach kurzer Überlegung:
    »Tut mir leid, aber ich bin jetzt so müde, daß ich unbedingt so zeitig wie nur möglich ins Bett kommen muß. Aber machen Sie sich keine Sorgen, wir werden schon sehr bald eine Gelegenheit finden. Also warum verbleiben wir nicht einfach so? Ich weiß nicht

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