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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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daß es zu keiner direkten Begegnung kommt...«
    »Das ist vollkommen klar. Ja, das Bankett. Aber eigentlich, Miss Collins, hatten wir Sie um noch etwas bitten wollen, wenn Sie doch nur einmal darüber nachdenken würden. Also, es ist so: Eine Gruppe von Herren – darunter Herr von Winterstein – wird morgen mit Mr. Brodsky in den Zoo gehen. Offensichtlich ist er in all den Jahren nicht einmal dagewesen. Seinen Hund darf er natürlich nicht mit hineinnehmen, aber Mr. Brodsky hat sich schließlich damit einverstanden erklärt, ihn für die paar Stunden in guten Händen zu lassen. Alle meinten, daß ein solcher Ausflug ihm helfen würde, sich zu beruhigen. Vor allem die Giraffen, so hatten wir gedacht, könnten eine entspannende Wirkung auf ihn haben. Also, es geht darum: Die Herren würden gern wissen, ob Sie sich der Gruppe im Zoo nicht vielleicht anschließen möchten. Und wenn auch nur, um ein paar Worte mit ihm zu reden. Sie müßten nicht mit den Leuten zusammen hinfahren, Sie könnten dort zu ihnen stoßen, nur für ein paar Minuten, einige freundliche Bemerkungen mit ihm austauschen, vielleicht etwas Ermutigendes sagen, das würde so viel ausmachen. Ein paar Minuten nur, dann könnten Sie sich wieder verabschieden. Bitte, Miss Collins, wenn Sie wenigstens einmal darüber nachdenken würden. Davon könnte so viel abhängen.«
    Während Stephan geredet hatte, war Miss Collins aufgestanden und langsam zum Kamin hinübergegangen. Jetzt blieb sie ein paar Sekunden still dort stehen, die eine Hand hatte sie auf den Kaminsims gestützt, als versuchte sie, ihr Gleichgewicht zu bewahren. Als sie sich schließlich wieder zu Stephan umdrehte, sah ich, daß ihre Augen feucht waren.
    »Verstehen Sie doch meine Lage, Stephan. Ich mag mit ihm verheiratet gewesen sein. Aber die wenigen Male, die ich ihn in den letzten Jahren gesehen habe, hat er mich immer nur beschimpft. Sie sehen also, daß es für mich nicht ganz einfach ist zu erahnen, welche Art von Gespräch er am liebsten führen würde.«
    »Aber Miss Collins, ich versichere Ihnen, er ist ein völlig anderer Mensch geworden. In letzter Zeit ist er so höflich und umgänglich und... aber das wissen Sie sicher noch. Wenn Sie nur darüber nachdenken wollen. Es steht so viel auf dem Spiel.«
    Nachdenklich nippte Miss Collins an ihrem Sherry. Sie schien gerade antworten zu wollen, da hörte ich, daß Boris sich hinter mir im Fond des Wagens bewegte. Ich drehte mich um und sah, daß der Junge schon eine ganze Weile wach gewesen sein mußte. Er schaute aus seinem Fenster die stille und leere Straße hinunter, und ich spürte, daß ihn eine Traurigkeit erfüllte. Ich wollte eben etwas sagen, aber er mußte gemerkt haben, daß meine Aufmerksamkeit jetzt ihm galt, denn ohne sich zu rühren fragte er leise:
    »Kannst du Badezimmer renovieren?«
    »Ob ich Badezimmer renovieren kann?«
    Boris seufzte schwer und schaute weiter in die Dunkelheit hinaus. Dann sagte er: »Ich habe nie mit Fliesen zu tun gehabt. Deshalb habe ich auch all diese Fehler gemacht. Wenn es mir jemand gezeigt hätte, dann hätte ich auch damit umgehen können.«
    »Ja, das glaube ich ganz bestimmt. Sprichst du von dem Badezimmer in eurer neuen Wohnung?«
    »Wenn es mir jemand gezeigt hätte, dann hätte ich alles richtig gemacht. Dann wäre Mutter mit dem Badezimmer auch zufrieden gewesen. Sie hätte das Badezimmer dann richtig gemocht.«
    »Aha. Jetzt ist sie also nicht mit dem Badezimmer zufrieden?«
    Boris sah mich an, als hätte ich etwas abgrundtief Dummes gesagt. Reichlich ironisch sagte er dann: »Würde sie vielleicht wegen des Badezimmers weinen, wenn sie es mögen würde?«
    »Tja, wieso? Sie weint also wegen des Badezimmers. Ich würde gerne wissen, wieso sie das tut.«
    Boris drehte sich wieder zu seinem Fenster, und in dem diffusen Licht, das in den Wagen fiel, sah ich jetzt, daß er dagegen ankämpfte, in Tränen auszubrechen. Im letzten Moment gelang es ihm, seine Gefühlsaufwallung mit einem Gähnen zu tarnen, und mit den Fäusten rieb er sich über das Gesicht.
    »Das werden wir schon alles wieder in Ordnung bringen«, sagte ich. »Du wirst schon sehen.«
    »Ich hätte alles richtig gemacht, wenn es mir nur jemand gezeigt hätte. Dann hätte Mutter nicht geweint.«
    »Ja, du hättest das bestimmt ganz fabelhaft gemacht. Aber wir werden das bald wieder in Ordnung bringen.«
    Ich richtete mich in meinem Sitz auf und schaute durch die Windschutzscheibe. Auf der ganzen Straße war kaum ein

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